Kindernotstand an den Grundschulen

Im Ostteil gehen in den nächsten Jahren die Schülerzahlen von 98.000 auf 58.000 zurück. Schulen sollen geschlossen werden. Die inhaltliche Entwicklung bleibt dabei auf der Strecke  ■ Von Kathi Seefeld

Braucht Prenzlauer Berg bald keine Schulen mehr? Seit Wochen läuft im Bezirk die Diskussion um die geplanten Schließungen eines Gymnasiums und mehrerer Grundschulen. Der Bildungsausschuß ließ sogar unlängst den vom Bezirksamt vorgelegten Schulentwicklungsplan durchfallen, der den gegenwärtigen und künftigen Schulbedarf festlegen soll.

Auf der Bezirksverordnetenversammlung am Dienstag abend nun spitzte sich der Streit erneut zu: Der zuständige Stadtrat Burkhard Kleinert (PDS) erhielt einen Rüffel von der SPD. Neben vorauseilendem Gehorsam gegenüber den Senatsvorgaben wurde ihm „Vorpreschen“ vorgeworfen, das die Diskussion über die Schulentwicklung in Frage stelle. Der Vorwurf: Weil der Stadrat im Schulentwicklungsplan die Schulen genannt hatte, die zur Schließung anstehen (wie zum Beispiel das Mandel-Gymnasium), setze er sich über die Interessen von Betroffenen hinweg. Eltern würden ihre Kinder in einer als perspektivlos ausgewiesenen Schule nicht mehr anmelden, monierte das Bündnis Prenzlauer Berg.

Allzu viele Kinder werden in den kommenden Jahren in den Ostbezirken ohnehin nicht angemeldet werden. Die Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport, die derzeit von 210.700 Grundschülern in der Stadt ausgeht, erwartet für das Schuljahr 2003/4 den absoluten Tiefpunkt mit nur noch 162.500 Grundschülern. Allein im Ostteil der Stadt sinke die Schülerzahl von 98.900 auf 56.000, während in den westlichen Bezirken noch mit vereinzelten Zuwächsen gerechnet werden könne.

Für ihre neuesten Zahlen stützt sich die Schulverwaltung auf eine erstmals für das Nachwendeberlin vorliegende Bevölkerungsprognose, die von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Auftrag gegeben wurde. Abwanderungen ins Berliner Umland, die natürliche Bevölkerungsentwicklung, der erwartete Zuzug aus Bonn und dem Ausland, selbst die Binnenwanderung innerhalb der Stadt wurden darin berücksichtigt.

Ein schlappes Bevölkerungswachstum von 185.000 Einwohnern bis zum Jahr 2010 wirkt sich auch auf die Schulentwicklungsplaner aus. Eckard Seidel von der Senatsschulverwaltung erwartet Konflikte in fast allen Bezirken um den Standort von Schulen: Bereits jetzt gibt es Krach um Schulen wie im Prenzlauer Berg oder in Hellersdorf: Hier sind im vom Plattenbau geprägten Norden des Bezirks ausreichend Schulen vorhanden, im Süden mit vielen neuen Einfamilienhäusern dagegen fehlen die Einrichtungen.

Bis Februar kommenden Jahres sollen die Bezirke laut Schulgesetz bezirkliche Schulentwicklungspläne aufstellen, die dann Grundlage eines Landesplanes sein sollen. Unabhängig von den Sparorgien des Senats gehe es dabei um die Optimierung des gegenwärtigen und künftigen Schulbedarfs und die Neuordnung von Ressourcen „über Wahlperioden hinaus“, so Seidel.

Doch bei der Debatte über Standorte komme die Diskussion über den gesamtstädtischen Ansatz zu kurz, moniert der Schulplaner. Über eine ganztägige Betreuung, die Integration Behinderter oder über die innere Entwicklung von Schulen – Stichwort „Schule in erweiterter Verantwortung“ – werde viel zuwenig geredet. „Eine gut funktionierende Schule, ein Modellprojekt, muß doch nicht zwangsläufig an einen Standort gebunden sein, auch wenn Grundschulen natürlich nahe am Wohnort sein müssen.“ Statt teurer Schulneubauten könnten mobile Unterrichtsräume kurzfristig auftretenden Bedarf decken.

Für problematisch hält Seidel, daß das Engagement vieler Eltern immer nur auf die „Verweildauer ihres Kindes in der Einrichtung“ bezogen sei. Außerdem, meint man in der Schulverwaltung, sei es endlich an der Zeit, daß Berlin sich bei der Schulplanung an anderen Bundesländern orientiere.

Für Eltern und Lehrer betroffener Schulen sind dies keine hinreichenden Argumente. Der Entwurf zum Schulentwicklungsplan in Prenzlauer Berg, heißt es, sei nicht unter inhaltlichen Gesichtspunkten entstanden, sondern in Konsequenz der Sparvorgaben des Senats und der Anforderungen des Landesschulamtes. In den Ausführungsbestimmungen zur Schulentwicklungsplanung seien bestimmte Standards für die Größe und Anzahl von Klassen festgelegt worden, an die sich die Bezirke halten müßten. Einige Schulen könnten jedoch nur deshalb nicht mehr genügend Klassenzüge eines Jahrgangs aufweisen und seien daher von Schließung bedroht, weil die Klassenfrequenzen für die Stadt erneut erhöht worden sind. Eine qualitative Entwicklung von Schule, stellten beispielsweise die Vertreter der 3. Grundschule in Prenzlauer Berg fest, sei angesichts vergrößerter Klassen von 30 Kindern ohnehin kaum möglich. Seidel hält dagegen: „Ein guter Pädagoge ist noch nicht daran gescheitert, zwei Schüler mehr zu unterrichten.“