: Opposition: Hunderte Tote in China
■ Die Unruhen in der Provinz Xinjiang sind angeblich blutiger, als von der Regierung in Peking eingestanden wird
Berlin/Peking (taz/AFP/rtr/ AP) – Finden in der nordwestchinesischen Provinz Xinjiang Massenexekutionen statt? Einwohner der Stadt Yining berichteten gestern telefonisch, nach den Unruhen der letzten Tage habe die chinesische Führung etwa hundert Angehörige des Turkvolkes der Uiguren hinrichten lassen. Überprüfen lassen sich die Angaben nicht: Das chinesische Militär hat die Stadt abgeriegelt, der Flughafen ist gesperrt.
Ein Verteter des Regionalkomitees der Kommunistischen Partei in der Provinzhauptstadt Urumqi räumte gestern erstmals ein, daß bei den Unruhen Menschen getötet wurden. Offizielle Bilanz: Zehn Tote und 144 Verletzte, die meisten Opfer seien Chinesen. Auch über den Auslöser der Unruhen widersprechen sich die Angaben. „Feindliche Kräfte haben versucht, die Regierung zu stürzen“, sagte der KP-Funktionär. Chinesische Polizisten hätten Privathäuser gestürmt, in denen muslimische Frauen den 27. Tag des Fastenmonats Ramadan begehen wollten, berichtet der Vertreter der uigurischen Ostturkestan-Union in Europa, Ömer Kanat. Mehrere hundert Frauen seien festgenommen worden. Als sich ihre Angehörigen vor den Behörden versammelt hätten, um die Freilassung zu erreichen, sei Militär angerückt. Die Soldaten hätten in die Menge geschossen. Dabei und bei anschließenden Auseinandersetzungen seien etwa 200 Uiguren und 100 Chinesen getötet worden.
Der Vorsitzende der Vereinigten Nationalen Revolutionären Front Ostturkestans, Jusupbek Muchlisi, behauptet dagegen, die Unruhen seien von der Hinrichtung von 30 oppositionellen Uiguren durch chinesische Militärs ausgelöst worden. Die Exekutionen hätten am 7. Februar stattgefunden. „Während der Zusammenstöße wurden 25 Uiguren von chinesischen Soldaten erschossen“, sagte Muchlisi im kasachischen Exil, „55 chinesische Zivilisten und Polizisten wurden von Uiguren erstochen oder zu Tode geprügelt.“
In der offiziell autonomen Region Xinjiang leben über 16 Millionen Menschen, knapp die Hälfte von ihnen gehört zu dem muslimischen Turkvolk der Uiguren. Durch gezielte Ansiedlung von Han-Chinesen – der größten Bevölkerungsgruppe in der Volksrepublik – und Repression versucht die Staatsführung, Unabhängigkeitsbestrebungen zu verhindern. Rund ein Drittel der Bevölkerung der Provinz sind mittlerweile Chinesen.
Der Anführer der „separatistischen Elemente“ sei verhaftet worden, sagte gestern ein KP- Vertreter im 500 Kilometer entfernten Urumqi: ein 29jähriger Uigure namens Abudu Heilili. Die Situation in Yining habe sich „grundsätzich beruhigt“ und sei „im wesentlichen stabil“. „Wir dürfen nachts unsere Häuser nicht verlassen“, berichtete dagegen einen Tag zuvor ein Einwohner telefonisch. Es seien Schüsse zu hören. „Ich habe von Toten in den mehrheitlich von Uiguren bewohnten Außenbezirken gehört.“ taud
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