: „was nahe liegt ist doch so fern“ und Diana Thaters Video-Räume
Der Kunstverein zeigt rechtzeitig zur ausbrechenden Hamburger Kunsthysterie zwei Ausstellungen, die in bester Duchampscher Manier das Kunst betrachtende Subjekt als eigentlichen Urheber von Konstruktionen entlarven. Wenn es eine Gegenwartserfahrung in der Kunst gibt, dann ist diese immer schon eine medial versetzte.
Christian Philip Müller zeigt unter dem Motto was nahe liegt ist doch so fern eine aus soziologischen Erhebungen aufbereitete Arbeit, die dem Begriff „Hamburger Kunstmeile“ als semantische Fiktion auf die Schliche kommen will. Die integrierten Fotoarbeiten aus einem Wettbewerb zu demselben Thema werfen die Frage auf, ob eine Idee oder ein Konzept für unsere Gegenwart schon Kunst ist. Akzeptieren wir die augenscheinlich reale Horizontlinie draußen vor der Tür als eine durch unsere Wahrnehmung konstruierte Linie?
Daß Wahrheit nur als medial gebrochene zum Vorschein gelangt, dokumentieren die wunderbar inszenierten Video-Räume von Diana Thater. Hollywood ist ihre Heimat, und so liegt ihr Thema nah: der Betrachterblick durch die Kamera auf eine exotische Natur. Domestizierte Affen und Wölfe verweisen auf eine Wahrnehmung, die auch Exotik und Wildnis nur als Abgerichtete verstehen kann. Natur wird damit genauso ein Konstrukt wie die Vorstellung von dem, was denn Kunst sei. In diesen dialogischen Diskursen der sehr sinnlich inszenierten Ausstellung wird tatsächlich nahe gelegt, was momentan so fern ist. Auch die Betrachter im Simulationsraum Kunst sind nur noch ein popartiges Klischee. Beim Begehen begleitet den Betrachter sein eigener Schatten. Er nimmt sich selbst als dreifaches Abbild auf den Wänden wahr, wird zur rot-gelb-blauen Serie seiner selbst. Duchamp und Warhol werden so von einer jungen, gegenwärtigen Generation begriffen: nicht weitergehen,sondern stehenbleiben, genau hinschauen und weiterdenken.
Gunnar F. Gerlach
Bis 30.März, Di-So, 11-18 Uhr, Do 11-21 Uhr
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