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Am Baum der Erkenntnis sägen

■ "Birth of the Cool": Amerikanische Malerei als luzide Idee im Schlepptau der Erfahrung. Eine unfromme Show in Hamburg

Gute Ausstellungen über Malerei sind selten geworden. Nicht weil es keine gute Malerei gäbe. Sondern weil die Malerei der Gegenwart in der aktuellen Kunst nicht mehr das Leitmedium darstellt. Solange das der Fall war, hatte man mit Titeln wie „Neue Figuration“ oder „Neue Abstraktion“ noch Publikum ziehen können; denn es sah ja lange so aus, als gälte es, da eine Schlacht zu entscheiden.

Auch historische Ausstellungen, wie vor ein paar Jahren „Das offene Bild“, beziehen sich auf den ideologischen Diskurs, der am gegenstandslosen Bild hängt – aber genausogut am Gegenständlichen festgemacht werden kann. Fest steht: Der Streit um die Grenzen des Möglichen findet in der Malerei zur Zeit nicht statt. Sie verwaltet eher die Grenzen der Empfindung.

In Zeiten der Ratlosigkeit sind Retrospektiven natürlich eine sichere Sache: mit Lichtenstein, Wesselmann und Bacon ist das Publikum auch gut gefahren. Das Gegenmittel ist, die lähmenden Stereotypien gegen den Strich zu bürsten, ein bißchen am Baum der Erkenntnis zu sägen: und das tut die Schweizer Kritikerin Bice Curiger mit ihrer Ausstellung „Birth of the Cool“. Die Ausstellung handelt von 15 amerikanischen MalerInnen, von denen vier nicht mehr leben: Georgia O'Keeffe, eine Jahrhundertgestalt, starb 1986 und Jackson Pollock vor nunmehr mehr als 30 Jahren. Die anderen sind Barnett Newman und Andy Warhol.

Der Titel „Birth of the Cool“ bezieht sich auf die epochemachende Schallplatte von Miles Davis von 1950, die deutlich abgesetzt war gegen den musikalischen Expressionismus Charlie Parkers. Davis wollte nicht die Notation auskreuzen, sondern die Struktur durchwalken; und das hat er dann 40 Jahre lang getan und trieb damit das voran, was Curiger so zusammenfaßt: „Den Prozeß der Demystifikation zur unumgänglichen Austreibung der falschen Frömmigkeit aus der Kunst.“ Es braucht Zynismus, um nicht ins Messer der Binsenweisheiten zu laufen. Aber es braucht eine Menge Gefühl, um nicht in der Nische des Widerspruchs zu landen.

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die „Schattenbilder“ von Andy Warhol, breitformatige Arbeiten, die mit einem Minimum an Kontrast stürzende Bewegungen suggerieren. Offenbar trägt die bemalte Leinwand fotografische Flächenraster, die mit ein bißchen Distanz den Eindruck einer Bleistiftzeichnung auf Kinoleinwand erwecken. Damit ist auf elegante Weise klargemacht, daß der große Mann der Pop-art das Vage und Flüchtige sehr wohl als Thema begriff.

Alle Werke werden aus dem Zusammenhang ihrer „Schulen“ und Strömungen herausgelöst und mit größtem möglichem Aufwand so verglichen, daß die Individualsprachen zu schillern beginnen. Was dabei sichtbar wird, ist eine innere Balance, bei Philip Taaffe zwischen byzantinischen Mustern und Rohrschachtest, bei Alex Katz zwischen Illustration und Allegorie, bei John Wesley zwischen Sinnbild und Schablone. Die abgründigsten Positionen sind mit den beiden Richards besetzt: Artschwager als Rhetoriker der toten Oberfläche (zwischen Furnier und Gravur), Richard Prince als Bote des Existentialismus bei einem Promille.

Ganz hinten links in der quadratischen Halle (die ausgezeichnet geeignet ist, Themen zu spiegeln und Referenzen zu verschalten) bleibt ein kleiner Raum für Vija Celmins reserviert. Es sind ein paar kleine Formate. Zum einen eine Gruppe von Meeresstücken: in einem technischen Grau gehaltene Aufsichten auf eine moderate Brandung.

Zwei der Bilder sind in wächserner Weise schwarz und tragen nur winzige helle Punkte. Selbstverständlich ergänzt man im Kopf den Nachthimmel; dennoch appellieren die Gemäldewinzlinge nicht an die Suggestion. Vija Celmins, Jahrgang 1938, hat sich lange an der Sinnentäuschung abgearbeitet – hier, in nuce, sieht man noch einmal die Coolness geboren werden. Es ist so etwas wie eine luzide Idee im Schlepptau einer erschöpfenden Erfahrung.

Obwohl die Ausstellung mit deutlichen historischen Referenzen arbeitet, will sie nicht belegen, wie das Coole sich durchsetzt. Was (mit McLuhan) „heiß“ ist oder mit den Kids „uncool“, spielt hier keine Rolle. Es kann sanft cool sein, wie die Vaginalmotivik von O'Keeffe, oder bösartig cool, wie die comic-pornohafte Pollock-Persiflage von Sue Williams. Das Paradigma „cool“ ist selbstverständlich bewußt metaphorisch, street- wise, dem Wandel verpflichtet. Die Entstehungsdaten der Bilder sind Subtext, nicht Pflichtlektüre. Wie bei der Malerei, die sie gewählt hat, scheint auch bei der Kuratorin der Gestus knapp, aber entschieden durch. Sie streut die Asche der Praxis aus, wo es durch Theorie zu glatt geworden ist. Ulf Erdmann Ziegler

„Birth of the Cool“. Bis zum 11. Mai in den Deichtorhallen Hamburg. Vom 18. Juni bis zum 7. September im Kunsthaus Zürich. Kuratorin: Brice Curiger. 15 amerikanische Malerinnen von O'Keeffe über Warhol bis zu Christopher Wool. Katalog (Cantz) 45 Mark. Nicht verpassen

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