„Mensch, das ist endlich Brecht!“

■ Rollenspiel als episches Theater: Für seine Dokumentation „Die Bewerbung“ hat Harun Farocki simulierte Bewerbungsgespräche gefilmt (arte, 20.45 Uhr)

Immer wieder gehen Türen auf. Verlegen lächelnde Kandidaten treten in den Raum. Händeschütteln. Hinsetzen. Luftholen. Und dann geht es los: „Was sind Ihre größten Stärken?“ – „Warum wollen Sie diesen Beruf ergreifen?“ – „Weshalb glauben Sie, daß ausgerechnet Sie für diese Stelle geeignet sind?“ Und bei Frauen auch schon mal: „Sind Sie schwanger?“

In Harun Farockis neuem Dokumentarfilm geht es um das Bewerbungsgespräch. Das ist in einer Zeit, in der die Arbeitslosenzahlen im Osten Weimarer Dimensionen angenommen haben, ein aktuelles Thema. Und es ist von ziemlich abgründiger Ironie, daß die Bewerbungsgespräche in diesem Film bloß Übungen sind. Denn Farocki hat in Kursen und Ausbildungszentren gefilmt, in denen Arbeitslosen und Schülern beigebracht wird, wie man sich professionell bewirbt. Während draußen in der wirklichen Welt die Arbeit verschwindet, proben im Seminarraum lernwillige Langzeitarbeitslose und „Berufseinsteiger“ ihren ersten Auftritt beim Arbeitgeber, als wäre es ein Theaterstück. Bezahlt wird das Ganze wahrscheinlich vom Arbeitsamt. Und die einzigen, die noch Arbeit haben, sind die Bewerbungslehrer...

Seit fast 20 Jahren dreht der deutsche Autorenfilmer Farocki Dokumentarfilme, in denen „Leben gespielt“ wird. Statt um Authentizität – wie den traditionellen Filmdokumentaristen – geht es ihm gerade im Gegenteil um die Inszenierungen von Realität, um Situationen, in denen der Ernstfall bloß geübt wird. Farocki: „Als ich bei einer Managerschulung sah, wie die Manager Arbeiter spielten, da dachte ich: ,Mensch, das ist endlich Brecht!‘ In seiner extremsten Zeit hat Brecht ja gefordert, daß das epische Theater nur für den Schauspieler wirken soll, der es ausführt. Bei diesen Rollenspielen geht es um dasselbe: Das Rollenspiel ist weniger für die Anschauung eines Publikums da, sondern als Lehre für den Spieler.“

In Filmen wie „Leben BRD“ (1990) oder in dem mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten „Die Umschulung“ (1995) hat Farocki seine Kamera ausschließlich auf Unterrichtssituationen und Trainings gerichtet: vom Erste-Hilfe- Kurs bis zum Managertraining, von den Weight Watchers bis zur Psycho-Selbsthilfegruppe. Diese oft absurden Kurse sind auch Karikaturen einer postfordistischen Dienstleistungsgesellschaft, in der die Repräsentation mehr gilt als die Qualifikation. In „Die Bewerbung“ zeigt Farocki eine Gesellschaft, die vollständig auf ihr Abbild hin operiert. Immer wieder rückt die Kamera die TV-Monitore in den Klassenräumen in den Bildmittelpunkt und betont so, daß die Prüflinge ihr Agieren wie einen Fernsehauftritt inszenieren.

„Angst haben alle“, sagt einer der Ausbilder in dem Film; das Training ist auch therapeutische Strategie gegen diese Lebensangst. Und dann glotzen alle plötzlich fünf Minuten lang ins Leere; die Ausbilderin zupft sich an den Lippen, die Schüler reiben sich die Nase oder die Augen oder fummeln mit ihrem Kuli rum. Solche Bilder bekommt man im Fernsehen sonst wirklich nie zu sehen. Tilman Baumgärtel