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„Freiberufler“ auf der größten Baustelle Europas

■ Während Portugiesen in Deutschland zumindest auf dem Papier korrekt entlohnt werden, wird die „Expo 98“ in Lissabon von schlechtbezahlten Afrikanern gebaut

Es gibt viel zu tun in Lissabon. Entlang des Tejo-Ufers, bei den Docks von Olivais, erstreckt sich Europas größte Baustelle: Gebaut wird auf insgesamt 330 Hektar. 6.000 Arbeiter, davon rund 4.500 Immigranten aus den einstigen portugiesischen Kolonien in Afrika, packen Tag und Nacht an. Sie bauen die letzte Weltausstellung dieses Jahrhunderts, die Expo98. 128 Länder haben bisher ihre Teilnahme zugesagt – Rekord für eine Weltausstellung.

Mehr als drei Milliarden Mark soll sie kosten. Und in diesem Betrag ist das Geld für die Infrastruktur, die auf die Expo „hingebaut“ wird und am Eröffnungstag der Show, dem 22. Mai 1998, fertig sein muß, noch gar nicht mitgerechnet: der neue Ostbahnhof, die Erweiterung der U-Bahn – die einen großen Teil der erwarteten 8,3 Millionen Besucher vor die Tore der Expo bringen soll –, die Zugtrasse für die Brücke „25 de Abril“ – die bisher nur von Autos befahren werden kann – und die ganz neue Brücke über den Tejo. „Vasco da Gama“ soll sie heißen, 17 Kilometer lang soll sie werden, 3.000 Arbeiter bauen sie.

„Auf dem Bau herrscht das Gesetz des Dschungels“

Afrikanische Immigranten, die auf all diesen Großbaustellen arbeiten, heißen bei den Bauunternehmern schlicht H.P. – „Homens Pretos“, schwarze Männer. Die meisten von ihnen leben in den Barackenvierteln am Rande Lissabons, den „bairros de lata“. Sie machen die schmutzigsten und gefährlichsten Arbeiten. So kamen allein beim Bau des neuen, burgähnlichen Hauptsitzes der Bank Caixa Geral de Depósitos 19 kapverdische Arbeiter ums Leben.

„Für Arbeitsunfälle kommt oft keine Krankenkasse auf, weil die Beiträge nicht bezahlt worden sind“, sagt António Veiga von der Solidariätsvereinigung der Immigranten aus Guinea-Bissau. Denn kaum einer der afrikanischen Arbeiter hat ein festes Arbeitsverhältnis. „Es gibt bloß mündliche Vereinbarungen mit den Subunternehmern“, so Veiga. „Für ihre Renten- und Krankenversicherungsbeiträge müssen die Arbeiter selbst sorgen. Und bei ihrem geringen Verdienst ,sparen‘ die meisten diese Kosten.“

Arbeiten ohne Arbeitsvertrag – dies gilt nicht nur für die afrikanischen Immigranten, sondern für die übergroße Mehrheit der Beschäftigten auf dem Bau überhaupt. „Nur 20 Prozent der Arbeiter haben ein stabiles Arbeitsverhältnis“, schreibt die Baugewerkschaft in ihrem Jahresbericht 1996. Alle anderen gelten als „freiberuflich“ beschäftigt. Mittels sogenannter Recibos verdes, „grüner Quittungen“, die sie für ihre Arbeit ausstellen, rechnen sie ihre Steuern selbst mit dem Finanzamt ab. Und auch für die Sozialversicherungsbeiträge sind sie selbst verantwortlich. „Auf dem Bau herrscht das Gesetz des Dschungels“, kommentiert die Baugewerkschaft diese Praxis. „Die afrikanischen Bauarbeiter sind froh, daß sie überhaupt Arbeit haben“, sagt António Veiga. „Einen Teil ihres Lohnes schicken sie in ihre Heimat, unterstützen dort Familienangehörige. Aber wird es noch Arbeit geben, wenn die Expo vorbei ist?“ Theo Pischke, Lissabon

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