: Hoffen auf den Kick aus Bonn
Heroin vom Stadtstaat? Hamburger Antrag heute im Bundestag. Drogenbeauftragter Bossong: „Kostenfaktor zieht“ ■ Von Silke Mertins
Ob Hamburg den Schweizern nacheifern und auch hier in einem Modellversuch Heroin verschreiben darf, entscheidet sich heute in Bonn. Dort soll der Gesundheitsausschuß des Bundestages über einen Hamburger Antrag zur staatlich kontrollierten Abgabe an Schwerstabhängige befinden. Es sei „völlig offen, was dabei herauskommt“, so der Hamburger Drogenbeauftragte Horst Bossong.
Auch mit einem CDU-Änderungsantrag auf der Basis des Hamburger Ansatzes „können wir leben“, so Bossong. Milliarden würden für eine repressive und im Ergebnis wirkungslose Drogenpolitik ausgegeben, und „der Kostenfaktor könnte am ehesten ziehen“.
Aus Bonn verlautete gestern, daß die FDP Zeit gewinnen will. „Wahrscheinlich kommt es zu einer Vertagung“, so SPD-Gesundheitspolitikerin Monika Hommes. Die Liberalen, die einem Modellversuch positiv gegenüberstehen, wollen den Abschlußbericht aus der Schweiz, der noch in diesem Jahr erstellt wird, abwarten.
Ohne innovative Ansätze könnte „das Drogenproblem ausufern“, warnt Bossong. Denn auch in Hamburg stieg die Zahl der Drogentoten von 141 (1995) auf 159 (1996), obwohl weniger Neueinsteiger registriert wurden. Der Rückgang der Heroin-Konsumenten von etwa 10.000 auf 8000 sei ein sehr „fragiler Erfolg“. Denn Bonner Sparauflagen setzen besonders im Bereich Prävention und Therapie an.
„Verbieten ist keine Drogenpolitik“, so Bossong. Deshalb setzt er auch bei den Designer-Drogen auf „Gesundheitserziehung“. Eine Hamburger Studie hat nämlich ergeben, daß über 80 Prozent der Ecstacy-KonsumentInnen die Illegalität „völlig egal“ ist. Eher führt die Angst vor Gesundheitsschäden zum Drogenverzicht.
Unterdessen läuft die Hamburger CDU – ähnlich wie bei der Einführung des Methadonprogramms und der Druckräume – schon jetzt gegen die Heroinabgabe Sturm. „Unverantwortlich“ sei es, „das Drogenangebot zu erweitern“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Sieghard-Carsten Kampf. Es wäre einerseits „menschenverachtend“, nur einigen wenigen und nicht allen Heroin vom Staat zu geben. Andererseits gebe es doch Methadon. Und wer das nicht wolle, „dem kann man eben nicht helfen.“ Insgesamt sei „der Beikonsum bei der Heroinabgabe nicht in den Griff zu bekommen“.
Derlei Einschätzung sei „von keinerlei Sachkenntnis getrübt“, rügt Bossong den konservativen Parlamentarier. Denn auch Kampf müsse bekannt sein, daß derzeit Methadon nur an „Halbtote“ vergeben wird. Das Problem sei zudem, daß der Ersatzstoff „keinen Kick“ herbeiführe und deshalb viele Süchtige nicht erreicht werden könnten. Der Beikonsum sei bei dem Schweizer Heroin-Modell hingegen bis auf drei Prozent abgesunken. Die Methadon-resistenten Junkies abzuschreiben, kommt für Bossong nicht in Frage: „Nur derjenige, der überlebt, kann überhaupt abstinent werden.“
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