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"Gefahr der Verflachung"

■ Christian Wulff will bei der Steuerreform Privilegien streichen, die Renten besteuern, die Mehrwertsteuer nicht erhöhen. Er sieht mehr Gemeinsamkeiten zu den Grünen als zur SPD

taz: Herr Wulff, wird Helmut Kohl in den nächsten Wochen seine Kandidatur erklären?

Wulff: Ich vermute es.

Wird damit wieder Ruhe einkehren in der Union?

Unruhe ist wegen der notwendigen inhaltlichen Auseinandersetzungen um die Steuer- und Rentenreform entstanden. Dabei sind unterschiedliche Positionen in der Partei deutlich geworden.

Die Unruhe ist doch auch entstanden, weil Sach- und Personalfragen verknüpft wurden. Das wurde Ihnen vorgehalten, nachdem sie Waigel zum Rücktritt aufgefordert hatten ...

... das ist wohl wahr.

Das wurde Blüm vorgehalten, als er mit Rücktritt drohte, und deshalb sieht sich nun Kohl genötigt, vorfristig seine Kandidatur zu erklären. Hat der Kanzler Fehler gemacht?

Meine Einlassung war auf Theo Waigel gemünzt und auf niemand anderen. Die Personifizierung war Ausdruck der Erwartung, daß bei den politisch Verantwortlichen der Wille zu einem großen Wurf vorhanden ist.

Dieser große Wurf ist anscheinend auf den eigenen Füßen gelandet. Die Reformen haben eine schlechte öffentliche Resonanz. Wir müssen die Reformwerke mutiger skizzieren und auf Interessengruppen und Lobbyisten weniger Rücksicht nehmen.

Nennen Sie doch mal Roß und Reiter.

Das gefährlichste ist die Verwässerung der Reformwerke aus falsch verstandenem Respekt vor bestimmten Einzelinteressen. Ich habe bereits vor der Steuerreform deutlich gemacht, daß ich eine Finanzierung durch die Mehrwertsteuer für falsch und nicht vermittelbar halte. Die Streichung der Privilegien geht nicht weit genug. Ich wünsche mir zudem eine noch stärkere Vereinfachung des Steuerrechts.

Welche Privilegien sollen noch gestrichen werden?

Ich erwarte mir eine gleichmäßige Besteuerung aller Einkünfte, insbesondere auch der Gewinne aus Grundstücksveräußerungen und aus Aktien. Wir haben auf dem Bundesparteitag eine Entfernungspauschale von 20 Pfennig pro Kilometer beschlossen. Die sollte eigentlich nicht so heftig bekämpft werden, wie es bestimmte Kreise zur Zeit tun.

Beim ersten Punkt gibt es heftigen Widerspruch der FDP.

Die FDP hat engagiert für die Aufrechterhaltung von Privilegien, beispielsweise bei den Lebensversicherungen, gekämpft. Bei den anderen Punkten geht der Dissenz quer durch die Regierungskoalition.

Ist das denn eine gute Voraussetzung, um in Verhandlungen mit der SPD zu gehen?

FDP und Union haben ein Reformwerk vorgelegt. Meine Kritik ist, daß es nicht weit genug geht. Die SPD hingegen will weit dahinter zurückbleiben. Wenn Sie das addieren, was führende SPD-Politiker in den letzten Wochen zur Bemessungsgrundlage gesagt haben, kommen sie auf einen Fehlbetrag von 31,7 Milliarden Mark, der nicht mehr zur Debatte stehen soll. Angefangen von der Besteuerung der Renten bis zur Besteuerung der Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge. Wenn darüber nicht geredet wird, ist die Steuerreform erledigt.

Diese Widersacher finden sie allerdings auch in der eigenen Partei, beim Arbeitnehmerflügel.

Die Vernetzung von Rentenreform und Steuerreform, wie Blüm sie gefordert hat, muß jetzt vorgenommen werden. Ich halte die Besteuerung von Spitzenrenten aus Gründen der Systematik wie der Gerechtigkeit für angebracht.

Da befürchten Ihre älteren Wähler doch den Einstieg in die Besteuerung aller Renten.

Die Freigrenze des nicht zu besteuernden Existenzminimums ist so bemessen, daß maximal fünf Prozent der Rentner betroffen sind.

Bislang fehlen über 40 Milliarden Mark zur Gegenfinanzierung der Steuerreform. Woher kommt das Geld?

Die Finanzierungslücken müssen im wesentlichen durch wirtschaftliche Dynamik geschlossen werden. Das Karl-Breuer-Institut geht davon aus, daß die durch einen niedrigeren Steuersatz ausgelöste wirtschaftliche Dynamik zu Mehreinnahmen von 20 Milliarden führt. Die Lücken müssen zudem durch Einsparungen in allen Haushalten geschlossen werden. Den Rest wollen viele durch Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgleichen. Mir wäre es lieber – wenn wirklich eine Lücke bleibt –, statt dessen die Reform in mehreren Stufen in Kraft zu setzen.

Sie wollen auf eine Mehrwertsteuererhöhung völlig verzichten?

Das halte ich für möglich.

Auch die SPD will darauf verzichten. Auch beim Spitzensteuersatz entdeckt man eine größere Nähe zwischen SPD und Union als zwischen CDU und FDP. Bekommen wir eine faktische große Koalition?

Die CDU hat auf ihrem Bundesparteitag einen Spitzensteuersatz um 35 Prozent beschlossen. Da sehe ich größere Nähe zu den Liberalen als zu den Sozialdemokraten, bei denen zwischen unter 40 Prozent und jetzigem Spitzensteuersatz alles vertreten ist.

Bleibt die CDU bei ihren 35 Prozent?

Meine große Sorge ist, daß wegen des Bremsens der SPD der Spitzensteuersatz nur leicht gesenkt wird, die Streichung von Privilegien aber soweit geht, daß es zu einer faktischen Mehrbelastung kommt. Und das wird die Investoren aus dem Land treiben.

Eine große Koalition droht also nicht?

Ich kenne keinen in der Union, der darin einen Vorteil sieht. Es gibt soviel Frust über den Realitätsverlust der SPD, daß keine Neigung in diese Richtung aufkeimt. Den gleichen Frust, den die Grünen mit der SPD haben, verspüren wir aus etwas anderen Gründen.

Schon wieder eine schwarz- grüne Gemeinsamkeit.

In diesem Punkte ja. Mit einigen Grünen kommt man in Steuerfragen schneller auf einen Nenner als mit den Sozialdemokraten.

Interview: Dieter Rulff

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