: Dreiste Tränenseiche mit Held
■ Massenpsychose oder Sieg der Doppelmoral? Warum findet alle Welt, daß Larry Flynt – Die nackte Wahrheit ein Meisterwerk ist?
Ist es nicht bestürzend? Alle finden diesen Film gut. Von Szene bis Spiegel, von 3Sat bis Prinz keulen Deutschlands – und nicht nur Deutschlands – Filmjournalisten mit Superlativen nach dem neuen Milos Forman-Film Larry Flynt – Die nackte Wahrheit. Doch der Film ist Mist, Courtney Love ist eine Katastrophe und die ganze Geschichte ist ein amerikanisches Rührstück für die ganz einfache Weltsicht. Nichts gegen Pornographie, nichts gegen Redefreiheit und auch nichts gegen Tränenseiche im Kinosessel, aber einen Film über den Hustler-Herausgeber zu drehen und in dem ganzen Film nicht eine ernstzunehmende, kritische Gegenfigur einzubauen, ist dreist.
Statt dessen Larry Flynt einfach als Helden hochzustilisieren, der einen Menschheitskampf um Darstellungsfreiheit gegen amerikanische Moralapostel gewinnt, kommt einer Verhöhnung der Opfer der Sexindustrie gleich. Larry Flynt ist hier eine so rundum positive Gestalt, man glaubt es kaum. Alle vernünftigen Menschen lieben ihn, alle Frauen wollen von ihm gefickt werden und alle, die sich seinem gerechten Zorn in den Weg stellen, sind lediglich Karikaturen: Vom schwarzen Richter bis zum weißen Saubermann, der schließlich der Korruption überführt wird, gibt es in diesem Film keine Kritik an Larry Flynt, die nicht sabbert, geifert, stur oder gewalttätig ist.
Großes Kino? Ein Meisterwerk? Der Film wimmelt von Ungereimtheiten, Woody Harrelson als Flynt ist bizarr, nett und flach und Courtney Love sollte schleunigst zur Rockmusik zurückkehren, was sie wirklich kann. Als ewig vollblöd rumnölende Ehefrau Flynts strapaziert sie die Geduld bis zum Anschlag und man ist froh, daß ab ihrer HIV-Infektion wenigstens dieser zerstörerische Aspekt sie zwingt, eine Rolle in ihrer Selbstdarstellung zu erkennen.
Wo bleibt der soziale Realismus vom Kuckucksnest, der doppelbödige Humor von Amadeus, wenn die Entstehungsgeschichte des Porno-Magazins Hustler als die tolle Idee eine Kommune unterbelichteter Kiffer gefeiert wird, der sowohl der Entstehungszusammenhang wie das Wirkungsfeld abgeschnitten wird? Was ist an einem Film „dokumentarisch“, der einen halbintelligenten Sexprotz lediglich charismatisch und heldisch zeigt?
Die Geschichte von Larry Flynt wäre eine gute Geschichte, hätte Forman sie nicht als den Kampf zwischen dem Sex-Clown und den Würstchenverkäufern der Doppelmoral inszeniert. Hat er aber.
Till Briegleb
Aladin, City, Neues Cinema, Zeise
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