: Theater für Abenteurer
■ 20 Jahre MOKS-Theater: Wir sprachen mit dem „Veteranen“ Wolfgang Blessing
Am heutigen Sonnabend feiert das Kinder- und Jugendtheater MOKS sein 20jähriges Bestehen. Dazu wollen auch wir nicht schweigen. Das Wort hat der Buchhändler Wolfgang Blessing. Von 1979 bis 1986 gehörten er und seine Frau Bianca dem MOKS-„Kollektiv“ an. Wir trafen ihn in seinem Laden, und er nahm uns mit zu einem bittersüßen Ausflug in Theatererinnerungen.
taz: Das MOKS-Theater ging aus dem bundesweiten Modellversuch Künstler und Schüler hervor. Was hat Sie nach Bremen verschlagen?
Wolfgang Blessing: Ich habe zusammen mit meiner Frau 1976/77 in Remscheid an der Ausbildung zum Modellversuch teilgenommen. Danach haben wir zwei Jahre lang unter der Schirmherrschaft der Leitung des Verbandes deutscher Schullandheime in Hamburg gearbeitet. Wir sind mit Klassen in Landheime nach Neuwerk oder Schneverdingen gefahren. Eigentlich hatten wir damals keine Lust mehr. Doch dann kamen wir nach Bremen, und die Bedingungen waren so gut, daß wir uns entschieden haben, doch weiterzumachen.
Hatten Sie eine pädagogische Ausbildung oder kamen Sie vom Schauspiel?
Wir kamen vom Schauspiel. Das war die Grundidee des Modellversuchs. Aber das war schwierig.
Was war schwierig?
Schauspieler zu bleiben – wenn man nicht selber spielt. In den meisten der Projekte waren wir Spielleiter. Eines der besten war „Aus Deutschland“ (1980; Anm. d. Red.). Da haben wir es geschafft, als Schauspieler in den Rollen zu bleiben und zugleich die Zuschauer so einzubinden, daß sie ihre Erfahrungen sofort in Spiel umsetzen konnten.
MOKS ist ein Kind der 70er?
Unbedingt! Das ist ein Appendix der sozialliberalen Koalition.
Aber MOKS gibt es heute immer noch.
Es hat sich geändert. Es ist ein Rudiment. Diese Art von Mitspieltheater – hervorgegangen aus dem Modellversuch – gibt es nicht.
Welche Rolle spielten politische Ambitionen?
Gesellschaftspolitische Ambitionen! Ich war früher an verschiedenen Theatern engagiert. Überall ging es um die Öffnung des Theaters und um Überlegungen, was die Leute aufnehmen und welche Rolle das Theater spielt.
Und was sich an den Stadttheatern nicht verwirklichen ließ, wurde im Jugendtheater gemacht?
Es war kein Ausweichen, sondern eine konsequente Suche. Kein Theoretisieren, sondern Erfahrung. Trotzdem sind auch die praktischen Erfahrungen sehr individuell. Haben die Leute, wenn sie begeistert geklatscht oder begeistert gebuht haben, für sich eine Lehre daraus gezogen? Dazu gibt es eine gute Anekdote: Ein Bühnenarbeiter an den Münchener Kammerspielen sagte mir, er habe Brecht bei den Proben erlebt: „Und so sozial ist der gar'net g'wesen, weißt.“
Bevor ich 1979 nach Bremen kam, hörte ich eine Radiosendung – eine Dame erzählte da über Animation. Sie sagte, in Zukunft hätten die Leute viel mehr Freizeit. Und da sie im normalen Arbeitsleben nicht selbst bestimmen können, was sie tun, müßten sie auch in der Freizeit jemanden haben, der ihnen sagt, was sie tun sollen. Da wurde der Begriff Animateur auf den Punkt gebracht. Das wollten wir natürlich nicht. Wir haben uns zur Manipulation bekannt und wollten die Befreiung zu einer Selbsterkenntnis des einzelnen. Das war punktuell ganz interessant, aber im großen Rahmen unmöglich.
Haben Sie die Nase voll vom Theater?
Ja. Wir haben beim MOKS-Theater sehr interessante Trainingsmethoden für Schauspieler kennengelernt. Die sind inzwischen Allgemeingut als Gruppentherapien. Doch was die Leute heute glauben, an Unappetitlichkeiten und Voyeurismus auf die Bühne stellen zu müssen – dazu war ich einfach nicht mehr bereit. Dann hat meine Frau diese Buchhandlung aufgemacht, und wir sind beide umgewechselt.
Ein völliger Abschied?
Morgen könnte das wieder ganz anders aussehen. Hätte mir jemand früher gesagt, ich würde nicht mehr Schauspieler sein, hätte ich geantwortet, „Du spinnst wohl.“
Fragen: Christoph Köster
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen