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Gedankenfutter für „Schwachsinnige“

■ Ex-Grüne Jutta Ditfurth las aus ihrem neuen Buch „Entspannt in die Barbarei“ und schüttete Hohn und Spott auf das esoterikbewegte Publikum im Lagerhaus aus

Schon die Aushänge im Flurbereich des Lagerhauses hätten Jutta Ditfurth warnen müssen. Aus Frankfurt war die Publizistin angereist, um aus ihrem neuen Buch über Esoterik, „Entspannt in die Barbarei“, vor 200 ZuhörerInnen zu lesen – und das inmitten von Werbezetteln für Körperarbeit, Chakrenreinigung und Co.

Ditfurths These birgt nämlich Diskussionsstoff: Esoterisch getarnte, anti-aufklärerische Ideen sind laut ihr überall, auch in der Linken, auf dem Vormarsch. Die Ideen des Märchenzentrums Troubadour in Vlotho, die antisemitische Freiwirtschaftslehre des Silvio Gesell, Bioregionalismus, aber auch Erdbefreiung und extreme Formen des Veganismus – all das seien Ideologien, die das Ziel haben, den Menschen zu entwerten. Laut Ditfurth bildet die Summe dieser Ideen einen groß angelegten „Angriff auf das soziale Wesen des Menschen“, der eine ähnlich ernstzunehmende Qualität wie der Sozialabbau besitzt. Ihre Sorge: „Esoterische Ideologien enthalten eine Menge Faschismus-kompatibler Elemente wie Entpolitisierung, Schicksalsgläubigkeit und der Glaube an fest stehende Naturgesetze, denen sich der Mensch unterzuordnen hat.“

Nachdem der Rahmen einigermaßen präzise abgesteckt war, begann die ehemalige Grüne allerdings mit einem ideengeschichtlichen Höllenritt, dem kaum jemand folgen konnte. Unterhaltsam war das zwar allemal, denn Ditfurth war sich des Schotencharakters des Themas „Sinnsuche von ehemaligen Linken“ wohl bewußt und trug den Stoff mit Spaß und Wortwitz vor. Doch die Fülle der Inhalte eilte der Zuhörerschaft davon.

Weil bei der Lektüre Zeit zur Reflexion bleibt, überzeugen ihre Thesen auf dem Papier. Doch was Ditfurth und ihre Zeitschrift ÖkolinX seit Jahren diskutieren, war für viele Zuhörende völlig neu. Ob man ihr also die Kritik abnahm an der braunen SA-Vergangenheit und den gegenwärtigen rechten Aktivitäten eines Herbert Gruhl, dessen Ernährungsbücher in jedem Reformhaus stehen, das wurde beim bloßen Zuhören zur Glaubensfrage.

Doch in der Regel traf die Ditfurth ins Schwarze. „Vier Tage 500 Mark, oder sieben Tage 1.000 Mark für feinstoffliches Körperarbeiten. Das blechen Leute wirklich,“ spottete die Frankfurterin. Bloß bei uns im Lagerhaus natürlich keiner, wollte das darauf einsetzende Hüsteln derer, die beim Schlangestehen an der Kasse die Eso-Waschzettel im Flur interessiert eingesammelt hatten, wohl sagen. Und als das Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung (ZEGG), das für die Frau vor allem die Rolle der „Liebesdienerin“ vorsieht, als autoritärer Hort einer „ziemlich unfreien freien Liebe“ (Ditfurth) kritisiert wurde, regte sich erstmals wahnsinnig sanft vorgetragener Widerstand im Publikum.

Aber nicht mit Jutta. „Ihr schon wieder, ihr seid wohl zu jeder Veranstaltung da“, kanzelte die Vortragende die zarten Stimmchen ab. Nun kam sie in Fahrt, beschimpfte Esoterik-Konsumenten als „Schwachsinnige“ und Rudolf Steiners Anthroposophie als „unstrukturiertes, dummes Zeug.“ Bis heute ist Steiners Wurzelrassenlehre, nach der sich die Arier zu Recht über die zum Aussterben verdammten Stämme - die Juden, Neger oder die Indianer - erheben, eine der theoretischen Grundlagen des anthroposophischen Denkens. Das hätte man auch weniger polemisch deutlich machen können, doch dies war gar nicht im Sinne der routinierten Referentin. Sie wollte Fronten klären. Der Erfolg der Provokationstrategie stellte sich schnell ein: Eine entrüstete Stimme erzählte von einem anthroposophischen Behinderten-Camp in Israel, folgerte, daß damit der Antisemitismus-Vorwurf an die Anthroposophie ausgeräumt wäre und belegte dabei unfreiwillig durch Wortwahl und neu-rechte Faschismus-Vergleiche die Richtigkeit der Ditfurth'schen Thesen.

Abgrenzen und dann weiter diskutieren über linke Perspektiven – das hätte sich die Ökolinx-Chefredakteurin gewünscht. Doch nach den harten Worten fühlte sich das Publikum irgendwie unwohl. Statt um Politik, ging es nur noch um Befindlichkeit. Der eine kritisierte am Zuhörermikro den Ton der Diskussion, die nächste betonte, daß sie auch nette Esos kenne. Ein letztes Mal versuchte Ditfurth, Hilfestellung zu geben und stellte den „grundlegenden Konflikt von Kapital und Arbeit“ in den Raum – vergebens. „Bücher lesen und nicht nur drin rumfühlen,“ empfahl die Autorin zum Abschied und hätte eigentlich lieber „Sechs, setzen“ gesagt.Lars Reppesgaard

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