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Das apokalyptische Syndrom

■ „Mutter und Sohn“ von Alexander Sokurow im Panorama

Müdigkeit, Grippe und damit verbundene Grundsatzfragen triumphieren über den Kinosklaven zum Ende der Filmfestspiele. Soviel Gleichnis im russischen Film war nie, allein: Erklärt es noch etwas? Und vor allem: wozu? „Alle meine Anstrengungen im Film sind von einer höheren Mission“, hat der als „elitär“ diffamierte Autorenfilmer Alexander Sokurow früher bekanntgegeben. Sie sollten dem Menschen helfen, indem sie ihn auf den Tod vorbereiten.

Auch in „Mutter und Sohn“ entwickelt Sokurow, wie in „Der zweite Kreis“ oder „Tage der Finsternis“, sein apokalyptisches Syndrom (siehe Muratowa) mit den Mitteln des Minimalismus. Eine Frau, ein Mann, eine einsame Gegend. Die Frau ist Mutter und liegt im Sterben. Der Mann ist ihr Sohn und erzählt, um die Qualen zu mildern, von vergangenen Zeiten.

Die Kamera hat unbegrenzt Zeit für jede Einstellung. Nicht einmal anderthalb Stunden dauert dieses sehr schön anzuschauende, wenig ermunternde Koma und ist nicht ohne symbolischen Anspruch: Mütterchen Rußland, Väterchen Staat, versinkende Wurzeln, bunte Blätter, die sanft zu Boden segeln. Segeln? Schweben!

Nach „Verborgene Seiten“, einem Sokurow-Film, der 1994 im Wettbewerb lief, weigerte sich eine Freundin, ihren Anteil am Eintrittsgeld zu zahlen. Danach sah sie nie wieder einen Berlinale-Film. Natürlich macht sich über Sokurow lustig, wer ihn nicht begreift, begreifen will. Weniger simpel und eher erschreckend ist die Besessenheit russischer Filmemacher vom Tod, ob die sich nun komisch (Poloka), tragisch (Sokurow) oder absurd (Muratowa) äußert. Überall Sterben, Töten, Untergang, nirgends eine Winzigkeit Anfang. Das ist hart. Mitunter zu hart. Vielleicht aber auch eine der ungezählten Wahrheiten. Anke Westphal

„Mutter und Sohn“, Deutschland 1996, 79 Min., Regie: Alexander Sokurow. Mit Gudrun Geyer, Alexej Ananischnow u.a.

Heute: 21 Uhr Filmpalast

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