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Doch volle Sozialhilfe für bosnische Flüchtlinge

■ OVG erläßt einstweilige Anordnung, daß rückkehrwilliger Bosnier 100 Prozent Leistung bekommt. Grüne: Sofortige Umsetzung des Beschlusses für alle Flüchtlinge

Schwere Schlappe für Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU): Die Anfang Februar vom Senat erlassene Anweisung, daß Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nur noch 80 Prozent Sozialhilfe bekommen, ist durch eine einstweilige Anordnung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) hinfällig geworden. Wie erst gestern bekannt wurde, hat das OVG bereits am Montag entschieden, daß einem rückkehrwilligen Flüchtling aus Bosnien-Herzegowina, der in Weißensee lebt, die Sozialhilfe nicht gekürzt werden darf.

Der Senat hatte bereits im November vergangenen Jahres beschlossen, daß Kriegsflüchtlinge mit einer Duldung zukünftig nicht mehr den vollen Sozialhilfesatz erhalten und die ihnen ausbezahlten Leistungen auf das Niveau des Asylbewerberleistungsgesetzes abgesenkt werden. Statt 531 Mark monatlich sollten die Flüchtlinge nur noch 440 Mark bekommen. Die Senatsanweisung sollte alle Bezirke zwingen, sich der 80-Prozent-Regelung anzuschließen. Denn das war vorher nicht der Fall: Kreuzberg hatte sich als einziger Bezirk den Senatsempfehlungen nicht angeschlossen.

Obwohl es sich bei dem Beschluß des Oberverwaltungsgerichts um eine einstweilige Anordnung handelt, ist davon auszugehen, daß auch das endgültige Urteil zugunsten der Flüchtlinge ausfällt. Denn, so heißt es in der Begründung des Gerichts, eine vorläufige Regelung sei dann gerechtfertigt, wenn in der „Hauptsache hinreichend Aussicht auf Erfolg besteht“.

Die Sozialverwaltung indes mauert. Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) sieht bis zur Hauptverhandlung „keinen Handlungszwang“, so eine Sprecherin. Die Verwaltung sei jedoch „zuversichtlich“, daß das OVG der Linie von Hübner, prinzipiell nur noch 80 Prozent zu zahlen, folgen werde. Ihre Begründung: Es habe in der Vergangenheit bereits vier ähnliche Fälle vor dem Verwaltungsgericht gegeben, und nur ein Fall sei zugunsten einer 100-Prozent-Regelung ausgefallen. Der sozialpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Michael Haberkorn, forderte gestern, den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts „sofort“ umzusetzen und eine entsprechende Anweisung für eine hundertprozentige Auszahlung der Sozialhilfe an die Bezirksämter zu geben.

Die bündnisgrüne Wilmersdorfer Sozialstadträtin Martina Schmiedhofer setzt den OVG-Beschluß bereits um. Sie hat ihre Behörde angewiesen, den vollen Sozialhilfesatz an die Kriegsflüchtlinge in Wilmersdorf zu zahlen. Julia Naumann

(Az. OVG 6S 415.96, VG 6A 564.96)

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