piwik no script img

Winterausklang für Genießer

Daheim sterben die Leut', weiß man im Allgäu, und deshalb sollte man dort lieber Schlitten fahren gehen. Einige einschlägige Tips  ■ von Michael Würfel

Wenn Auswärtige übers Allgäu schreiben, womöglich überregional, womöglich linkes Spektrum, dann kommt mitunter ein knautschiges Bild vom Eingeborenen heraus, der Heusuppe zum Frühstück schlürft, sich die Füße beim Eisstockschießen abfriert und sich erst beim Bockbier wieder aufwärmt. Das Bild ist so nicht ganz richtig, und es liegt nahe, Neid aufs genießerische Leben des Bergvolks dahinter zu vermuten. Dieses weiß ganz genau, was es hat an Berg und See; läßt sich auch nicht beirren von solcherlei Darstellungen. Nicht zuletzt, weil's rund ums Pfrontner Tal solche Presse gar nicht zu kaufen gibt, da müßt' Mensch schon nach Kempten fahren. Oder Familienangehörige aus der Stadt kommen, die sie mitbringen.

Und die kommen zuhauf, und häufig zum Schlittenfahren. Das ins Selbstmörderische hineinreichende traditionelle „Schalengge- Rennen“ ist hier gar nicht gemeint: Während dort mehrköpfige Besatzungen auf traditionellen Baumstamm-Transportschlitten gute Gewinnchancen haben, wenn sie das Ziel am Fuße der eisigen Abfahrt überhaupt (lebend) erreichen, ist Schlittenfahren – Genuß eben. Und Spaß. Und Sport. Und – verglichen mit anderem, mit Skifahren zum Beispiel, irgendwie zärtlich und besinnlich.

Wenn das Klima mitspielt, können erwähnte Exil-Allgäuer, Einheimische und Gäste, jung oder alt, allein oder mit Freund/innen, einen Großteil ihres Heimatbesuchs auf der – geräumten, aber nicht gestreuten – Auffahrt zum Falkenstein (Pfronten), Vilser Alm (Vils/ Österreich), Drehhütte oder Saloberalm (bei Füssen) verbringen, um einmal den kleinen Alpenausschnitt Ostallgäu ins Auge zu fassen. (Oder natürlich anderswo in den Bergen, aber mit geographischer Weitsicht ist nicht jeder „Gebürtige“ gesegnet; es fällt ihm schwer zu glauben, daß es anderswo auch so schön sein kann.)

Das Schlittenfahren an sich läßt sich einfach in drei Abschnitte aufteilen. Der Aufstieg, das Einkehren, die Abfahrt. Hier läßt sich vielerlei kombinieren, das ist was für Individualisten. An dieser Stelle: Hier wird Insiderwissen preisgegeben. An einem Touristenansturm kann niemandem gelegen sein. In den verschiedenen Gemeinderäten wird seit Jahren am Konzept „Schickt das Geld, und bleibt daheim“ gefeilt. Aber wenn sie denn kommen müssen, dann wenigstens nett und mit der Bahn. Deshalb, in bestem Glauben, die Veröffentlichung an dieser Stelle.

Der Aufstieg also. Der kann besinnlich sein bis sportlich. Zwei gute Freund/innen, die bei Mondschein Intimes austauschen, Vater und Sohn, sportlich vor dem Mittagessen „auf'n Falkenstein“ (ohne Einkehren, oder höchstens ein Beerenwein). Die nächtliche Variante ist insgesamt bei Jungvolk beliebter, erstens sind die Tage oder das, was nach ausreichend Schlaf noch davon übrig ist, für Familie reserviert oder auch für Kabelfernsehen, zweitens sind die Schänken auf den „Gipfeln“ fröhlicher, und drittens ist die Abfahrt, mit etwas Glück, gefroren, wenn die Runde sich ausreichend gewärmt hat oder das Wirtshaus schließt. Wobei es theoretisch verhängnisvoll sein könnte, in diesem Zustand der oder die letzte Abfahrer/in zu sein. Die Besinnlichkeit schließt den Nervenkitzel nicht aus, aber „Risiko“ relativiert sich irgendwo zwischen Aufstieg und Einkehr. So weit sind wir aber noch nicht, denn die Schönheit der Natur wurde bislang kaum gewürdigt. Und dafür ist der Aufstieg da, dafür und für Zwischenmenschliches. Unberührte Baumlandschaften, Weitsicht ins Voralpenland, gefrorene Wasserfällchen. Fortgeschrittene nehmen Glühwein mit.

Die Einkehr erfolgt zeitlich variabel. Der Reiz liegt im Kontrast, die Hütten sind besonders abends gut besucht, dampfig und gesprächig. Vereinzelt wird echt Rustikales wie die Drehhütte oder die Vilser Alm (dort gibt's noch nicht mal Strom) abgelöst von alpenländischem Neubaustil. Das schmerzt. Auf dem Falkenstein wurde ein ganzes Hotel daraufgesetzt, ein schönes zwar, aber ein neues, mit Musik auf den Toiletten. Die ersten zwei Halben (oder ein Eisbecher) gehen allein für die Verdrängung dieser Tatsachen drauf. Schlußendlich darf mensch sich von so was aber nicht die Schönheit verderben lassen. Und gerade der Falkenstein hat einiges zu bieten. Zwar nicht die steilste Abfahrt, aber eine Ruine auf der Spitze, noch über dem Hotel. Herrliche Sicht und eine Geschichte: Hier hätte König Ludwig sein Schloß gebaut, größer, schöner und vermutlich für Touristen noch reizvoller als Neuschwanstein, hätte er noch ein paar Jahre länger gelebt. Mit Verlaub, hier ist nicht nur die Schlittenfahrergemeinde an einer Katastrophe vorbeigeschrammt.

Irgendwann ist's dann soweit, wir reiben uns die Hände und schäkern mit der Bedienung. Aus der Wärme getreten, die Schlitten gesucht. Wer jetzt oben auf der „Salober“ steht, und es hat richtig angezogen mit der Kälte, dem oder der wird vielleicht doch etwas mulmig. Diese Abfahrt ist die steilste der vier erwähnten und mitunter geht's richtig zur Sache. Anfänger fahren vielleicht besser nicht alleine. Oder vielleicht besser doch: Da können sie wenigstens bremsen. Die Erfahreneren werden den Teufel tun, das ganze Jahr haben sie auf diesen Moment gewartet. Zwischen zehn und dreißig Minuten ist mensch immerhin unterwegs, bis es wieder flach wird. Mit viel Hallo, damit Aufsteigende rechtzeitig in den Wald springen können. Tagsüber sind hier viele Familien unterwegs, nachts wissen die Leute, was auf sie zukommt. Allerdings: Unfallfrei ist auch diese Beschäftigung nicht. Aber einigermaßen berechenbar. Schließlich geht jede/r dort rauf, wo sie/er herunterfährt und hat Gelegenheit, Gefahren einzuschätzen. (Mensch kann sich auch mit dem Holzrodel weh tun, nachts auf Skiabfahrten (ein Todesopfer Neujahr in Nesselwang) oder auf vereisten Wegen in steil abschüssigem Gelände.)

Denn die Abfahrt ist natürlich das Salz in der Suppe. Alleine, liegend, der Rennfahrer. Zu zweit auf einem Schlitten bringt Gewichtsvorteile, zwar vielleicht nicht rechnerisch, aber in der Praxis ist ein Zweierschlitten schneller. Mehrere Schlitten lassen sich theoretisch zu einem „Bob“ verkoppeln; die jeweils Vorderen lenken den oder die Schlitten vor ihnen, der/ die Erste sollte sich als Windschatten warm anziehen. Diese Methode versagt leider immer in den Serpentinen. Viel zu schnell ist's dann vorbei, aber der Spaß kann ja beliebig oft wiederholt werden – kostenfrei.

Der klassische Schlitten kostet 120 bis 150 Mark (kann auch entliehen werden für fünf Mark pro Tag) und läßt sich mit Rückenlehne fürs Baby aufrüsten. Zum Rodeln ist er einwandfrei geeignet. Immer wieder trifft mensch Leute mit fremd gekennzeichneten Limousinen, die irgendwelche Sondermodelle anbringen, Rennrodel und ähnliches: Wir zucken mit den Schultern. Kleine rote Plastikbobs verbreiten mehr Geknirsche als Tempo, „Bob“-fahren ist eher ein anderes Thema.

Das Schlittenfahren gehört zum Winter im südlichen Allgäu. Im Großteil der Restwelt ist es gar nicht möglich. Und so kehren Wintergenießer aus aller Welt immer wieder zurück in ihre kleinen, feinen Täler. Und treffen sich zum Schlittenfahren.

Informationen gibt es bei den Fremdenverkehrsämtern der genannten Orte, die alle mit der Bahn direkt erreichbar sind. Rodelwetterberichte sind zum Teil direkt bei den jeweiligen Gasthäusern zu erfragen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen