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Auf Rahen über Wellen fliegen

Kein Trip für Langschläfer, eine Privatsphäre gibt es kaum, dafür Beschäftigung satt. Auf dem Traditionssegler „Roald Amundsen“ mit zweiundzwanzig taz-LeserInnen um die Kanarischen Inseln  ■ Von Gerd Nowakowski

Innerhalb von Minuten wird der Wind zum Sturm. Windböen und Regenschauer springen das Schiff an. Dabei ist die wachhabende Gruppe erst wenige Minuten zuvor von den Mastspitzen zurückgekehrt. Die oberen Rahsegel der beiden Masten wurden gesetzt, um mehr Fahrt zu machen. Nun aber gibt es für den Druck der Böen zuviel Segelfläche.

„An die Geitaue und Gordinge für Royal und Bram. Klar bei Schoten und Fallen“, ordnet der Wachführer an. „Hol weg“, heißt es, während die Trainees, gegen die Schieflage des Decks gestemmt, das schwere Tauwerk einholen und die Segel provisorisch bergen. Grob zerren die Böen weiter an den losen Segeln, drohen diese zu zerreißen. Also wieder rauf in die Wanten, die schlagenden Segel festbinden. Die Trainees, das sind zweiundzwanzig taz- LeserInnen, die vierzehn Tage lang auf dem Traditionssegler „Roald Amundsen“ um die Kanarischen Inseln fahren – zusammen mit vierzehn Mitgliedern der Stammcrew.

Feuchte Taue, Hände rauh und rot

Letztere sind zumeist Berufsschiffer wie Kapitän Hartmut, dessen wieherndes Gelächter das ganze Schiff beschallt. Er hat früher große Transportschiffe gefahren und studiert nun Sozialpädagogik. Auch Steuermann Torsten, der abends Wiglaf-Droste-Geschichten vorliest, tut sonst auf Containerschiffen Dienst.

Das ist kein Trip für Liegestuhl- Fans und Langschläfer. Privatsphäre gibt es kaum, Alkohol ist verboten, die Kojen sind klein, und schlafen kann man höchstens sieben Stunden am Stück. Dafür aber gibt es Beschäftigung satt. Denn jede Hand wird benötigt, um den fünfundfünfzig Meter langen Zweimaster mit 850 Quadratmetern Segelfläche in Wind und Wetter zu segeln. Beim Manöver müssen Dutzende von Tauen gleichzeitig dichtgeholt oder losgemacht werden, wenn alle Segel an beiden Masten gedreht werden, müssen wir im Gleichtakt am Tau zerren, um die schweren Rahen zu bewegen. Das schwere und feuchte Tauwerk macht die Hände rauh und rot, sorgt für ungewohnte Schwielen und Blasen.

Der Wind drückt das fünfhundert Tonnen schwere Schiff in Schieflage. Wellenberge rollen heran, Gischt fliegt über die Reeling, das Schiff schlingert. Mit voller Konzentration geht es die Wanten der nahezu fünfunddreißig Meter hohen Masten hoch. Aufgeentert wird nur in Luv, der windzugewandten Seite. So wird vermieden, daß man bei plötzlichen Kränkungen des Schiffes in Überkopflage kommt und den Halt verliert. Statt dessen drückt der Wind die Decksleute zusätzlich gegen die Trittleitern.

Eine relative Sicherheit angesichts des im Sturm hin und her pendelnden Schiffsrumpfes. Zuwenig Sicherheit, waren die Trainees noch vor wenigen Tagen überzeugt. Da enterten sie zum erstenmal die senkrechten Wanten hoch – unter sachkundiger Anleitung durch die Stammcrew und ohne die leiseste Schiffsbewegung. Wie festgeschweißt hatte das Schiff an der Kaimauer des Hafens von Puerto Cruz des Tenerife gelegen. Schon die unterste der fünf Rahen schien unerträglich hoch. Dann der weite Schritt von den Strickleitern hinüber auf die waagerechte Rahe, nur eine Hand noch festgekrallt und mit dem Gefühl des Stürzens im Bauch. Die Sicherheitsgurte eingeklinkt auf den Rahen, an denen die Segel angeschlagen sind, die Füße abgestützt auf den „Fußpferde“ genannten Stahlseilen. Keine Ruhe für den weiten Blick. Schweißgebadet war man wieder unten angekommen. Das ist vorbei. Ebenso vorbei wie das Begriffschaos, das in den ersten Tagen über die Trainees kam. Es gewitterte von Begriffen wie Vorstengestagsegelfall, Royalgordingen, Obermarsniederholern oder Toppnanten. Mehr als einhundertfünfzig verschiedene Taue, rund um die Mastfüße und in langen Reihen entlang der Reeling angeordnet, folgen einer nur schwer zu verstehenden Ordnung. Zum sinnvollen System fügt sich das Wirrwarr nur durch Auswendiglernen und tägliche Übung. Erst über die Tage materialisiert sich das Schiff wieder aus Begriffen, Stufe um Stufe, wie die Schichtungen der viereckigen Segel am Mast; vom Großsegel ganz unten über die darüberliegenden Untermarssegel, Obermarssegel, Bramsegel bis zum obersten Royalsegel.

Vergessen ist innerhalb weniger Tage, mit welch unglücklich verkrampfter Figur manch einer anfänglich über den Rahen hing und vor lauter Herzklopfen nicht den einfachsten der vorher geübten Knoten zustande brachte. Ständiges Training bei ruhiger See hat schließlich jeden Handgriff eingeübt. Selbst der Aufstieg in der Nacht, wenn sich Hände und Füße in der Dunkelheit die Tritte ertasten müssen, schreckt nicht mehr. Niemals ist es still. Das Schiff wispert, raunt, ächzt und poltert. Tauwerk schlägt gegen die Hülle, Wasser gurgelt am Rumpf entlang, auf Deck scharren Füße, Segel schlagen, und manchmal rumort der Generator, der Strom für den Elektroherd in der Kombüse liefert. Bis in die Koje begleiten einen die Geräusche. Das Schiff – ein Mikrokosmos mit eigenem Zeitrhythmus; durch stetige Abläufe gleichsam verlangsamt gegenüber dem festen Land. Alle Crewmitglieder sind in drei Wachen eingeteilt, die rund um die Uhr tätig sind. Einer Wachzeit von vier Stunden folgt eine achtstündige Ruhepause, dann der nächste vierstündige Dienst. Nach wenigen Tagen hat sich ein ganz neuer Schlaf-und- Wach-Zyklus herausgebildet. Manches Crewmitglied sieht man nur, wenn bei größeren Manövern „all Hands on Deck“ gefordert sind. Die Zeit manifestiert sich in den zurückgelegten Seemeilen und dem Wechsel der Wachen. Zwei Landgänge auf Gomera und Hierro sind genug. Die Mehrheit will die letzte Woche in einem Stück durchsegeln, nur auf See bleiben, die Tage auskosten und auch die Nächte, wenn ein gewaltiger Sternenhimmel über dem Schiff hängt. Dann sitzt die „Hundswache“ zusammen beim Rudergänger und redet sich durch die Stunden. Selten begegnen uns Schiffe, dafür begleiten mehrfach Delphine die „Roald Amundsen“, bis sie das Interesse verlieren und wieder abtauchen.

Ursprünglich ein Tankschiff der DDR-Fischereiflotte, wurde die „Roald Amundsen“ seit 1992 in einem ABM-Projekt im mecklenburgischen Wolgast zu einem traditionellen Rahsegler umgebaut. Seitdem wird die Brigg, die dem gemeinnützigen Verein „LebenLernen auf Segelschiffen“ gehört, in der Jugendarbeit eingesetzt. Auf der Ostsee fahren im Sommer benachteiligte und problematische Jugendliche mit dem Schiff, lernen Selbstvertrauen und Seemannschaft. Im Winter geht es auf die Kanaren, um auf einigen Törns mit zahlenden Gästen Geld in die Vereinskasse zu bringen.

Küchendienst, ein gefährlicher Job

„Ich wollte immer schon Seeräuberin werden“, strahlt die Sozialpädagogin Rose aus Berlin. Genau die Hälfte der Trainees auf der taz- LeserInnen-Reise sind Frauen. Barbara, die Hannoveraner Krankenschwester, entert mit unglaublicher Schnelligkeit und Gewandtheit die Wanten. Tagelang ist Meike übel. Die Psychologiestudentin übergibt sich kurz an der Reeling und arbeitet dann mit entschlossener Hartnäckigkeit weiter am Tauwerk. Bis zur Erschöpfung ist auch Deckshand Antja in den Rahen unterwegs. Das Gefühl, „auf den Rahen zu fliegen“, beflügelt auch die Hamburger Hebamme Ulla. Weit pendelt der Mast. In den Wellen schlingert das Schiff. An Deck sind Sicherungstaue gespannt. Weit drüber in den Rahen werden die schlagenden Segel mühsam zusammengerafft und festgebunden, während die Beine die Bewegungen des Schiffes auspendeln. Der Regen schlägt ins Gesicht, als sei es Hagel, und der Wind fährt unter das Ölzeug. In wenigen Minuten ist der Rücken klatschnaß vom Regen und von der Anstrengung.

Drunten in der Kombüse erträgt Koch Marco gelassen das Chaos klirrender Teller und scheppernder Töpfe. Riesige Mengen werden dort täglich gekocht – und von der Mannschaft mit riesigem Appetit verputzt. Auch in der Kombüse sind Taue gespannt, damit die mithelfenden Trainees nicht ständig durch den Raum taumeln. Selbst Zwiebeln schneiden wird bei dem immer wieder wegkippenden Boden zum gefährlichen Job. Die Küchengerüche und die Hitze des großen Elektroherdes machen die Arbeit bei schwankendem Boden und fehlender Sicht auf den Horizont zu einem Härtetest für den Magen. Ob man nicht weniger kochen sollte, wird listig mit Blick auf die Seekranken gefragt. Marco lehnt ab. „Nach dem Fischefüttern“, weiß Marco, hat man doppelten Hunger. Er behält recht.

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