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NachgefragtWohin wächst Bremen?

■ Über ein altes Plädoyer gegen Wachstum

Die große Koalition setzt auf Wirtschaftswachstum: Nur wenn es bis zum Jahre 2005 insgesamt 55.000 Einwohner Bremens mehr gibt, steigen steuerliche Bundeszuweisungen in der erforderlichen Höhe, hat der Finanzsenator ausgerechnet. Damit sieht sich die CDU/SPD-Koalition in krassem Gegensatz zu der jahrelangen SPD-Leitlinie. „Nicht Wachstum um jeden Preis“ hatte der langjährige Senator Franke einen Text von 1993 überschrieben.

taz: Herr Franke, Sie haben 1973 als junger SPD-Politiker mit durchgesetzt, daß Bremen nicht auf 800.000 Einwohner wachsen sollte.

Horst-Werner Franke: Jener Text, auf den Sie anspielen, stammt aus der Feder des damaligen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Damals forderte die SPD-Bürgerschaftsfraktion den Senat in der Tat auf, nicht mehr unreflektiert und um jeden Preis der Bremen-Planung eine Wachstumsideologie zugrunde zu legen.

In dem alten Text wird davor gewarnt, daß die „Förderung von Industrieansiedlung Bremen einige hundert Millionen kosten wird“. Wachstum sollte „außerhalb der Ballungszentren stattfinden“.

In der Bremer SPD, aber nicht nur bei ihr, wurde damals kritisch hinterfragt, ob die Industrienationen insgesamt richtig lagen, wenn ihre gesamte Strategie sich immer mehr in Wachstum erschöpfte. Wir fürchteten die Zerstörung des Globus durch hemmungslosen Ressourcenverbrauch und die Ausplünderung der Dritten Welt. Obwohl wir heute mit der sogenannten Globalisierung der Wirtschaft und dem scheinbaren Sieg eines politisch nicht mehr kontrollierbaren Kapitalismus gänzlich andere Zeiten haben, erscheinen mir die Gedanken von damals immer noch nicht falsch zu sein. Ich bin überzeugt, sie kommen wieder auf die Tagesordnung, hoffentlich ist es dann nicht zu spät.

Was hätte Bremen in den Jahren unter Koschnick tun können, um die Finanzkrise abzuwenden?

Der damalige SPD-Fraktionsbeschluß sprach nur aus, was sowieso Fakt war. Bremens Bevölkerungswachstum stagnierte schon längst. Der Koschnick-Senat hätte weniger Schulden machen können, wenn er rücksichtslos die Werften hätte kaputtgehen lassen, als die Privatwirtschaft sich aus den Großwerften zurückzog. Zum Beispiel.

Wäre die Finanzkrise des Städtestaates abwendbar gewesen?

Nein. Herr Nölle hat ja begriffen, daß Bremen nur über den Finanzausgleich zu retten ist. Darum rechnet er mit 60.000 Einwohnern mehr. Er kann aber die Frage genauso wenig beantworten wie wir damals, wie man zu mehr Einwohnern kommt. Aus dem Umland gewinnt er Zehntausende nicht zurück.

Naiv ist, von 60.000 neuen Einwohnern auszugehen, aber keinen Pfennig für Schul- und Kindergartenplätze, für Krankenhausbetten und andere Infrastruktur-Folgekosten auszugeben. Kein Wunder, daß Bremens Stadtplaner von einer heillosen Wurstelei sprechen und von Planungschaos.

Weil der Stadtstaat in seiner bisherigen Existenzform am Ende ist, der Schuldenanstieg fortdauert, die Politik der Großen Koalition keinen Ausweg weist, wird nun die Chimäre Einwohnerwachstum entworfen, die rein rechnerisch einen Ausweg weist, aber jenseits aller Realität ist und von Fachleuten abgetan wird. Die Bremer sind reif dafür, die Wahrheit zu hören. Sie sind bestimmt bereit, eine überholte Struktur aufzulösen. Fragen: K.W.

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