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Und es ist doch Liebe

10 Jahre, 3 Länder, 1 Liebe – die grandiose Rückkehr des epischen Gefühlskinos: Peter Chans „Comrades, Almost A Love Story“ (Panorama)  ■ Von Thomas Winkler

Die Fans asiatischer Filme bei der Berlinale lassen sich grob in zwei Gruppen aufteilen. Da sind zum einen die, die das Aussterben des europäischen und insbesondere deutschen Autorenfilms beklagen und denen deshalb die langsame Erzählweise und/oder der neorealistische Ansatz vieler Produktionen ans Herz gewachsen ist. Zum anderen jene Klientel, der das Ende des amerikanischen B-Pictures, wie wir es kannten und liebten, naheging und die deshalb vor allem in Hongkong-Produktionen die lange vermißten Thrills und Kicks, avantgardistische Bildersprache, Stilbrüche und Eklektizismus sucht. Beide Gruppen wurden auch dieses Jahr wieder bedient.

Allerdings nicht von „Comrades, Almost A Love Story“. Dies hier ist klassisch: die Liebe im Strudel der Zeiten.

„Comrade“ bedeutet einmal Kamerad oder Kumpel, ein anderes Mal Genosse. Wir schreiben das Jahr 1986. Jun (Leon Lai, der Killer aus „Fallen Angels“) geht nach Hongkong, um dort genügend Geld zu verdienen, weil er seine in der Volksrepublik zurückgebliebene Verlobte heiraten will. Qiao (Berlinale-Jury-Mitglied Maggie Cheung) kommt ebenfalls aus dem „Hauptland“, wie es die Hongkong-Chinesen nennen, um in der großen Stadt Karriere und viel Geld zu machen. Sie lernen sich kennen und sprechen sich mit Comrade an. Mal heißt es Freund, mal ist es ironisch, mal verächtlich gemeint.

Zu Anfang ist es eine Harry- und-Sally-Geschichte. Die beiden helfen sich, trösten sich und stellen irgendwann fest, daß sie niemanden haben außer sich. Dann hilft Jun Qiao in den Mantel, nestelt an den Knöpfen, die sie nicht zukriegt, sie neigt sich ihm zu, er weiß nicht so recht, sie weiß nicht so recht, beide wollen und wollen doch nicht, können und sollen nicht, müssen dann aber doch. Vielleicht drei Minuten, die wie eine Ewigkeit scheinen, findet ohne Worte, aber auf Gesichtern, mit Händen und Gesten, ein Kampf untereinander und mit sich selbst statt, der schließlich doch im ersten Kuß mündet. Das ist eine der ergreifendsten Szenen, denen vor einer Leinwand beizuwohnen ich jemals die Ehre hatte.

Es ist keine Liebe. Sagen sie. Er holt seine Verlobte nach. Sie wird die Geliebte eines Triaden-Bosses. Von Hongkong geht es nach New York. Immer wieder kreuzen sich ihre Wege, trennen sie sich oder werden vom Schicksal getrennt. Zehn Jahre, drei Länder, eine Liebe. Menschenmengen schlucken sie und spucken sie Jahre später wieder aus. Dann stehen sie voreinander und sehen sich an. Irgendwie hilflos, voller Hoffnung und voller Angst. Niemals zuvor haben mich Geigen so wenig gestört.

„Comrades“ ist das chinesische Gegenstück zu „Vom Winde verweht“. Die Odyssee der beiden ist ja nicht nur ein Liebesepos, sondern auch historisches Schaustück und steht beispielhaft für die Geschichte vieler Chinesen, die in den 80ern in der Hoffnung auf ein besseres Leben massenhaft die Volksrepublik in Richtung Hongkong verließen, um später dann in die USA, nach Kanada oder Australien weiterzuziehen. In der Mitte der 90er setzte schließlich mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Volksrepublik wieder eine Rückwanderungswelle von inzwischen Green-Card-Glücklichen ein. „Diese Stadt sieht aus wie Hongkong vor 20, 30 Jahren“, sagt der nach New York geflüchtete Gangsterboß, „damals habe ich mit zwölf Jahren angefangen mein erstes Vermögen zu machen. Und jetzt sitze ich wieder in so einem Loch fest.“

Viele der Probleme, die diese moderne Völkerwanderung mit sich brachte, werden thematisiert: Qiao versucht ihr Mandarin zu verstecken, um im kantonesischen Hongkong nicht für eine Provinzlerin aus der VR gehalten zu werden. Die beiden wechseln die Jobs im Wochenrhythmus, morgens fährt Jun Blumen aus, tagsüber und abends arbeitet er im Restaurant. Qiao spart und spekuliert: „Ich wußte, der Yen würde steigen“, freut sie sich mit Blick auf den Bankautomaten. „Wer ist Yen?“ fragt Jun. Dann bricht die Börse zusammen.

„Comrades“ ist traurig und komisch. Große Zusammenhänge und kleine Geschichten. Low-Fi und Hi-Fi. Bunt und grau. Sie müssen sich einfach kriegen. Sie müssen. Unbedingt. Der Rest sind Tränen der Erleichterung.

Warum zum Teufel läuft so etwas nicht im Wettbewerb?

„Tian Mi Mi – Comrades, Almost A Love Story“. Hongkong 1996, 115 Min. Regie: Peter Chan. Mit Leon Lai, Maggie Cheung, Eric Tsang u.a.

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