: "Das ist der Tod der Universität"
■ Hans Meyer im Interview: Der Präsident der Humboldt-Universität will keine Studenten mehr zulassen - und möchte dies als dringend notwendigen Aufschrei gegen das Kaputtsparen im Hochschulbereich verstande
taz: Herr Meyer, Sie haben wegen der Etatkürzungen an den Berliner Universitäten damit gedroht, keine Studienbewerber mehr aufzunehmen. Wollen Sie jungen Menschen ihr Recht auf Bildung nehmen?
Hans Meyer: Keineswegs. Wenn der Staat jungen Menschen Bildung geben will, dann muß er das auch bezahlen. Wenn nicht, dann soll er eingestehen, daß wir in Berlin nicht genug Geld haben. Diese Ehrlichkeit fehlt mir. Jeder, der ein bißchen rechnen kann, weiß, daß die Universitäten die geplanten Absenkungen von 350 Millionen Mark in wenigen Jahren nicht erfüllen können. Wir könnten keine frei werdende Stelle mehr besetzen! Auf gut Deutsch: Innerhalb von fünf Jahren wäre der Mittelbau fast völlig leer. Und innerhalb von zwei Jahren wären keine studentischen Hilfskräfte mehr da. Da ich nicht weiß, wo die Lücken entstehen, kann ich niemanden mehr zulassen.
Ein Aufschrei der Universität ist noch kein Konzept.
Nein, ich mache nur auf die Konsequenzen aufmerksam. Die sind von uns ja nicht gewollt.
Wolfgang Frühwald, Präsident der Deutschen Forschungsgesellschaft, meint, besser wäre, in Berlin eine Uni zu schließen als alle drei auf Schulniveau herabzukürzen.
So ähnlich habe ich das gesagt, als ich mich um das Präsidentenamt an der Humboldt-Universität beworben habe. Es hat ja keinen Sinn, alle drei Unis kaputtzusparen. Aber ich bin der Überzeugung, Berlin kann nicht nur drei Universitäten vertragen, es muß sich drei Universitäten leisten. Es gibt momentan keine größere bundesdeutsche Stadt, in der im Verhältnis zur Bevölkerung weniger Studenten aufgenommen werden als in Berlin. Derzeit sieht es so aus, daß wir in zehn Jahren von 115.000 auf 62.000 Studienplätze gedrückt werden – eine Horrorzahl.
Welche Klage ist denn richtig – die der Berliner Finanzsenatorin, daß die Hochschulen Speckringe angesetzt haben, oder die der Unis, daß sie keine weiteren Kürzungen verkraften?
Die Speckringe sind längst abgeschmolzen. Die hat es an der Freien Universität gegeben, der klassischen Subventionsuniversität. Aber die FU ist schon zu Anfang der neunziger Jahre zu Sparmaßnahmen herangezogen worden, als wir, die Humboldt-Uni, noch aufgebaut wurden.
Müssen die Berliner Hochschulen denn nicht mitsparen?
Gewiß, aber die Sparziele sind in meinen Augen zu kurzfristig angelegt. Man kann so schnell so viel nicht wegsparen. Es sei denn, man zerstört die Universitäten. Die Hochschulen haben zu erkennen gegeben, daß sie mit Strukturentscheidungen reagieren können, wenn dieselben Sparendziele auf das Jahr 2003 oder 2004 datiert werden. Das heißt, wenn dieses Datum klar ist, kann ich mir als Universität überlegen, welche Teile ich mittelfristig aufgeben muß. Wenn ich diese Teile aber sofort auflösen soll, dann läuft der Betrieb trotzdem noch vier oder fünf Jahre weiter.
Warum?
Weil wir die eingeschriebenen Studenten ja fertig ausbilden müssen. Auch das Personal ist nicht einfach wegzukriegen – schon gar nicht die Professoren mit Lebenszeitstellung. Das bedeutet, selbst beim sofortigen Schließen einer Fakultät beginnt das erst in fünf Jahren, finanzwirksam zu werden. Die politische Seite tut aber so, als wären wir Zuwendungsempfänger wie ein Kegelverein.
Der Etatposten Wissenschaft und Hochschulen ist immerhin der zweitgrößte des Landes.
Unser Senator verwaltet zwar den zweitgrößten Etat. Aber Wissenschaft und Kultur sind die wenigen Glanzpunkte der Stadt. Berlin kann keine Industriestadt mehr werden. Und als pure Verwaltungsstadt ist sie langweilig. Was sie attraktiv macht, ist also ihr intellektuelles und kulturelles Potential. Und das ist auch für die Wirtschaft von Interesse. Es kommt doch nicht von ungefähr, daß die Industrie- und Handelskammer mit uns zusammen den Abbau von Studienplätzen kritisiert. Auch der High-Tech-Park Adlershof ist für die Wirtschaft wichtig. Ich habe den Eindruck, daß die Politik das nicht immer so sieht.
Nun glaubt man, den Stein der Weisen mit einem Vertragsmodell gefunden zu haben, das Planungssicherheit bringen soll: Der Staat schließt mit den Unis einen langfristigen Vertrag ab – und garantiert so, daß die Absenkung der Zuschüsse vorhersehbar wird.
Es ist richtig, wenn die politische Seite sich selbst binden will und damit die Uni auf eine geschmälerte, aber sichere Basis stellt. Aber eine Laufzeit von vier Jahren bedeutet keine Planungssicherheit. Diese Frist ist viel zu kurz. Dieser Vertrag hat auch positive Seiten – etwa die Möglichkeit, einen festen Stellenrahmen vorzusehen. Oder das Angebot, daß uns der Verkauf von Grundstücken einen gewissen finanziellen Anteil bringt. Es fragt sich nur, ob die vorteilhaften Regelungen des Vertrags die gravierenden Zuschußabsenkungen so kompensieren, daß wir unterschreiben können. Wenn das nicht der Fall ist, dann unterschreiben wir nicht. Ich muß ja mein Personal bezahlen. Ich kann nicht sagen, ich hab' kein Geld mehr.
Was heißt das für das intellektuelle Potential der Stadt?
Zunächst einmal bricht das Studium zusammen. Ohne Personal können wir die Studenten nicht ausbilden. Wir können unsere Bibliotheken nicht mehr öffnen. Die Computerpools bleiben geschlossen. Kurzum: Das ist der Tod der Universität.
Sie sind Staatsrechtler. Kann man mit dem Staat, dem Leviathan, Verträge schließen – und hoffen, daß er sie einhält?
Wir werden ihn notfalls gerichtlich dazu zwingen. Es ist ein Vertrag, und Verträge müssen gehalten werden. Interview: Christian Füller
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