Reiseziel Übersee

Wer nach ausgewanderten Vorfahren sucht, sollte beim „Historic Emigration Office“ anfragen  ■ Von Herdis Lüke

Versteckt hinter einem großen Besuchertresen und einem Schaukasten voller Hamburg-Souvenirs verbirgt sich in der Tourismus-Zentrale Hamburg ein einzigartiger historischer Schatz: Das „Historic Emigration Office“, zu deutsch Historisches Auswanderungsbüro. Allenfalls das Plakat einer alten Reederei und ein paar Dokumente und Bücher in einer Glasvitrine deuten darauf hin, daß sich hier eine in Europa einzigartige Fundgrube verbirgt.

Elizabeth Sroka hütet diesen Nachlaß. Die gebürtige Amerikanerin beantwortet jedes Jahr mindestens 700 Anfragen, die sie von europäischen, vor allem aber von deutschen Nachfahren aus den USA und aus Lateinamerika, besonders aus Brasilien und Chile, bekommt. Bei rund 350 Anfragen findet sie die richtige Spur, erklärt die 53jährige stolz. Ihre auf Mikrofilm aufgenommenen Passagierlisten umfassen fast sechs Millionen Namen von Menschen, die in den Jahren von 1850 bis 1934 – ausgenommen die Kriegsjahre 1914-1918 – über Hamburg ausgewandert sind. Nicht nur Deutsche sind darunter, auch viele aus Rußland oder Österreich/Ungarn.

Die lückenlosen Passagierlisten sind eine echte Hamburgensie: „Die Hamburger Vereinigung zum Schutze der Emigranten verlangte vom Makler eines jeden Schiffes eine vollständige Liste mit Namen, Geschlecht, Beruf und Herkunftsort sämtlicher Passagiere“, erklärt Elizabeth Sroka. Kein anderer europäischer Auswanderungshafen hat solche vollständigen Listen erstellt und erhalten. Nur noch die Mormonen in den USA haben vergleichbare Daten.

Daß das ursprünglich im Museum für Hamburgische Geschichte angesiedelte Historische Auswanderungsbüro überhaupt noch existiert, ist Elizabeth Sroka zu verdanken. Als das Büro wegen Geldmangels im März 1995 schließen mußte, wandte sich die rührige Amerikanerin an die Tourismuszentrale, die die Mikrofilme kaufte und ihr ein kleines Büro zur Verfügung stellte. Finanziert wird ihre Arbeit inzwischen über die Gebühren, die für jede Anfrage zu bezahlen sind. Wer mehr über die eigenen ausgewanderten Vorfahren wissen möchte, sollte möglichst das genaue Auswandererjahr wissen. Bei erfolgreicher Suche erhält Srokas Kunde eine Kopie der Original-Schiffsliste als besiegeltes Zertifikat auf Karton mit den persönlichen Daten der Vorfahren, wie Alter, Beruf, Familienstand und Herkunftsort, den Abfahrtstag, Namen des Schiffes und den Zielhafen in der neuen Welt.

Schwierig wird es, wenn die Schreibweise der Namen in den Passagierlisten unterschiedlich ist. „Aus 'Voß' wurde manchmal 'Vofs'“, erklärt Elisabeth Sroka, „da muß man erstmal darauf kommen.“

Bei ihrer Arbeit ist die Amerikanerin auch auf Kurioses gestoßen: So entdeckte sie vor ein paar Jahren in einer Liste die Namen von Sioux-Indianern aus Nebraska, die 1910 in einer der „Völkerschauen“ von Carl Hagenbeck am Spielbudenplatz präsentiert wurden und am 2. Oktober mit dem HAPAG-Dampfer „President Lincoln“ von Hamburg aus die Heimreise über New York antraten.