■ Castor-Protest: Sabotageakte gegen die Bahn bringen nichts
: Trostloser Aktionismus

Eine machtvolle Demonstration ihrer Stärke haben gestern erneut unbekannte Atomkraftgegner abgeliefert: Sie zerstörten mit Wurfankern an diversen Schienenstrecken der Republik die Oberleitungen. So wird der Deutschen Bahn deutlich gemacht, welche Folgen es hat, wenn sie sich zur Erfüllungsgehilfin der Atomindustrie macht und radioaktive Castor-Behälter nach Gorleben karrt. Auf dem Frankfurter Flughafen-Bahnhof, in Berlin-Zoo und in Hannover kam es zu spontanen Beifallskundgebungen von Reisenden, die die mehrstündigen Verspätungen nachdrücklich begrüßten. Die Diesellokomotiven-Industrie verwies darauf, daß ihre Produkte nicht von Störungen elektrischer Leitungen betroffen wären. Lokomotivführer erklärten, daß ein kleiner Stromschlag die geistige Beweglichkeit fördert.

Oder wie oder was? Tatsächlich verursachen diese Art Proteste nur eins: Ärger. Erwartet etwa jemand im Ernst von stehengelassenen Bahnkunden Solidarisierungsbekundungen? Oder ist es nicht jedem Reisenden für die nächsten Tage besser zum empfehlen, in den eigenen Wagen oder ins Flugzeug umzusteigen? Will irgend jemand dafür sorgen, daß Castor- Transporte in Zukunft gänzlich auf der Straße transportiert werden? Oder glaubt man etwa, daß die Bahn die Oberleitungsschäden zum Anlaß nimmt, den Transport von Atommüll in Zukunft einzustellen? Nichts davon wird eintreten. Dafür erhalten einige Politiker den willkommenen Anlaß, die Anti-Atomkraft-Szene pauschal zu kriminalisieren.

Allerdings: Die anstehenden Castor-Transporte fordern Proteste geradezu heraus. Nur gibt es da Methoden, die nicht nur den Vorteil haben, gewaltfrei zu sein, sondern auch wirkungsvoll sind. Wenn 19.000 Polizisten zur Sicherung eines einzigen Güterzugs eingesetzt werden müssen, wird auch der dümmste Politiker begreifen, daß da etwas mit der Kosten-Nutzen- Rechnung nicht stimmen kann. Wenn Sporthallen zur Unterbringung von Polizeibeamten requiriert werden müssen, wird auch der letzte Sportverein davon überzeugt, daß Atomkraft nicht dem Muskelaufbau dienlich ist. Und wenn Verzögerungen beim Bahntransport der Castor-Behälter dazu führen, daß Reisende ihre Anschlußzüge verpassen, dann werden auch die nicht länger auf die Atomkraftgegner schimpfen, sondern auf die Atomkraft. Klaus Hillenbrand