: Mini-Marshallplan für Afrika
■ Der UN-Sonderbeauftragte für Ostzaire/Ruanda, Mohamed Sahnoun, über die Pläne der UNO, der Region in der Krise zu helfen
Der 66jährige algerische Diplomat Mohamed Sahnoun ist ein Spezialist für schwierige Fälle. 1992 war er UN-Sonderbeauftragter für Somalia, bevor er wegen interner Differenzen sein Amt verließ. Im Januar 1997 wurde er zum Sonderbeauftragten der UNO und der OAU für die „Region der Großen Seen“, also das Gebiet um Ostzaire und Ruanda, ernannt. Er bereiste vergangene Woche das Krisengebiet.
taz: Herr Sahnoun, Sie kommen soeben von einer Reise durch die Krisenregion zurück. Was ist Ihre Bilanz?
Mohamed Sahnoun: Meine Bilanz ist eher pessimistisch. Die Lage an der Front verschlechtert sich zusehends, und natürlich ist die Zivilbevölkerung das Opfer. Wir müssen zuschauen, wie Städte bombardiert werden; die Kämpfe finden gleich neben den Flüchtlingslagern statt. Die Chancen, diese Tragödie politisch zu lösen, sind jetzt aber vielleicht etwas gestiegen.
Wieso? Haben Sie den Eindruck, die betroffenen Staaten seien an einer regionalen Lösung interessiert? Oder stehen nationale Interessen im Vordergrund?
Auf der einen Seite gibt es nationale, interne Probleme in jedem Land, die gelöst werden müssen. Zusätzlich gibt es bilaterale Probleme. Was die internen Probleme betrifft, muß ein Dialog geschaffen werden, damit die Kämpfe aufhören. Die bilateralen Probleme müssen regional angegangen werden. Wir planen, so schnell wie möglich eine regionale Konferenz abzuhalten, wo die Probleme diskutiert werden und ein Verhaltenskodex für die gesamte Region ausgearbeitet werden soll. Im Anschluß wollen wir eine internationale Konferenz einberufen, wo Frieden, Sicherheitsfragen und regionale Entwicklung diskutiert werden sollen. An dieser Konferenz sollen auch nichtafrikanische Mächte teilnehmen, in der Hoffnung, daß sie die Normalisierung zwischen den betroffenen Staaten unterstützen.
Sie haben die Idee eines „Mini- Marschallplans“ für die Region in die Diskussion gebracht. Wollen Sie auf dieser Internationalen Konferenz die Mittel dafür finden?
Die Idee eines „Mini-Marschallplans“ ist fundamental. Die Ressourcen und die sich stetig verschlechternde Ökologie sind die zentralen Probleme dieser Länder. Es ist höchste Zeit, diese Probleme umfassend anzuschauen. Wenn die Menschen sich bekämpfen, ist es, weil sie zutiefst verunsichert sind. Die Unsicherheit macht, daß Leute ihre Nachbarn einer anderen Ethnie zuordnen, und schon ist der Konflikt da. Wir müssen versuchen, den Menschen Hoffnung und ein Ziel zu geben, indem mit der Entwicklung von Handel und Landwirtschaft Arbeitsplätze geschaffen werden.
Wie wollen Sie das machen?
Als ich meine Idee entwickelte, habe ich das Bild vom Nachkriegs- europa gewählt, als sich die Alliierten bemühten, Westeuropa aufzubauen, um den Kommunismus zurückzudrängen. Nach dem Völkermord in Ruanda und den Bürgerkriegen können auch diese Länder hier in Chaos versinken. Nicht der Kommunismus muß hier verhindert werden, sondern das Chaos. Somalia ist ein gutes Beispiel: Es gibt keinen Staat mehr, keine Strukturen, keine Dienste für die Bevölkerung. Die Menschen leben vom Plündern und vom Krieg. Es besteht die Gefahr, daß diese Region in einem ähnlichen Chaos versinkt, wenn nicht rasch gehandelt wird. In Ruanda heißt das konkret, bei der Reintegration der Flüchtlinge Unterstützung zu leisten, Dorfstrukturen wieder aufzubauen. Gleichzeitig müssen wir den Handel zwischen den Ländern fördern. Es braucht eine gewisse Bewegungsfreiheit für Menschen und Güter. Zwischen Ruanda, Burundi und gewissen Teilen Ugandas, Tansanias und Zaires besteht eine Symbiose, und die muß einen Rahmen erhalten. Wenn nur einzelne Länder entwickelt werden, ist das zu kurzfristig; wir brauchen eine langfristige Lösung für die ganze Region. Interview: Andrea König, Nairobi
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen