: Die Frauenschinder-Revue
■ St. Pauli Saga: Dagobert Lindlau hat ein Drehbuch, einen Roman und ein Theaterstück zum Thema geschrieben. Das Schauspielhaus zeigt die Revue
„Dagobert Lindlau hält viel vom investigativen Journalismus und klärt selber gern auf“, vermeldete die Deutsche Presseagentur (dpa) rechtzeitig vor der Einladung des Deutschen Schauspielhauses und des Hoffmann und Campe Verlags zur Präsentation von Lindlaus neuem Buch und erstem Theaterstück, der St. Pauli Saga. Diesen Willen zur Aufklärung stellte der 66jährige Ex-Journalist und Neo-Dramatiker bei der Präsentation mit überheblichem Impetus unter Beweis.
„Gratulation, Sie sind jetzt die Tausendste, die diese Frage stellt“, wies er eine Journalistin zurecht, die wissen wollte, warum der Münchner seinen Theatererstling gerade in Hamburg spielen läßt. Und fügte dann, nicht eben entschuldigend, hinzu, daß eine solche Frage eben „den Hamburger Kleingeistern angemessen“ sei. Die Hanseaten müßten endlich begreifen, daß der Hamburger Kiez nicht so einmalig ist, wie sie ihn gerne hätten. Die Strukturen der Unterwelt seien überall gleich und fänden sich im übrigen auch in der bürgerlichen Welt. Einzigartig sei in der Hansestadt allein, daß hier Frauenschinder zur Prominenz gehörten.
Begeistert äußerte sich der Autor hingegen über die Arbeit am Schauspielhaus. Ursprünglich hatte der NDR ein Drehbuch für eine Kiez-Serie in Auftrag gegeben, doch Redakteur Horst Königstein trug das 600-Seiten-Skript in die Kirchenallee, wo Chefdramaturg Winfried Schulz es mit dem Regisseur und Bühnenbildner Wilfried Minks und Lindlau in eine dreistündige Theaterfassung übersetzte.
Die St. Pauli Saga beginnt am Nullpunkt 1945. Joseph Stragler besitzt nichts mehr, nur seine Frau. Dieses Potential aber weiß er zu nutzen: Ihr Körper wird sein Wirtschaftswunder. Erzählt wird von Straglers Aufstieg zum König vom Kiez und dessen Fall, als sich die Verhältnisse dort entscheidend ändern. Der Kiez sei heute sehr viel härter und brutaler, weiß Lindlau aus seiner 30jährigen Erfahrung als Spezialist fürs organisierte Verbrechen zu berichten, aber auch: „Brutalität und Charme liegen oft sehr beieinander.“ Und weil er nicht wußte, „ob man Geschichten mit einem ekligen Antihelden machen kann“, bleibt die Figur Straglers „relativ positiv“.
Auch Minks wurde vom Positiven angezogen: „Ich habe so viele moderne Stücke inszeniert, da wollte ich mal wieder was Populäres machen.“ Die „naive Geschichte der Saga“ will er „raffiniert in 28 Bildern“ in Szene setzen, wobei das Vabanquespiel „Wieviel Sentimentalität darf man dem Zuschauer zumuten?“ im Vordergrund steht. Nackte wird es hingegen kaum zu sehen geben, da diese „auf der Bühne abgehandelt“ seien.
Die Theatermacher kamen schnell überein, daß formal nur eine Revue dem Ritt durch die Nachkriegsgeschichte angemessen ist. Franz Wittenbrink übernahm die musikalische Leitung, wobei er mit Songs die Figuren weitererzählen und mit musikalischen Zitaten Zeitgeschichte vermitteln will.
Am vielversprechendsten klingt die Besetzung: Josef Bierbichler spielt Stragler, Eva Mattes seine Frau. Und Domenica, Hamburgs bekannteste Ex-Hure, wird als Senatorengattin zu sehen sein.
Christiane Kühl
Premiere: Sa, 1. März, 19.30 Uhr, Schauspielhaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen