Kinderflüchtlingen droht die Abschiebung

■ Flüchtlingsrat kritisiert Abschiebung von Kinderflüchtlingen und fordert die Abschaffung von Amtsvormundschaften. Aus Kostengründen Verzicht auf Klagen

Der Senat bekenne sich offen dazu, Kinderflüchtlinge nicht mehr dulden zu wollen, so der Vorwurf des Flüchtlingsrates. Mit einer „exorbitanten Steigerung“ der Abschiebungen minderjähriger Flüchtlinge rechnet deshalb Traudel Vorbrodt vom Flüchtlingsrat. So wurde der Rechtsanwalt Karl Eberhardt in den vergangenen Wochen mehrfach von Kinderflüchtlingen gebeten, sie in Prozessen gegen abgelehnte Asylanträge zu vertreten.

Die verantwortliche Treptower Amtsvormundschaft stimmte den Klagen der Minderjährigen jedoch nicht zu. „Das hat es vor einem Jahr noch nicht gegeben“, so Eberhardt. Als Grund würden „von vornherein aussichtslose Prozesse“ angegeben. Aber: „Der Treptower Vormund gesteht selbst ein, Fluchtgründe nicht kompetent einschätzen zu können.“ Der Flüchtlingsrat vermutet dahinter eine Weisung des Treptower Jugendamtes, aus Kostengründen auf den Klageweg zu verzichten.

Der Flüchtlingsrat, dem über hundert Hilfsorganisationen angehören, forderte den Senat auf, das zentralistische Modell der Amtsvormundschaften für Kinderflüchtlinge abzuschaffen und diese gemeinnützigen Trägern zu überlassen. Zudem müsse den minderjährigen Flüchtlingen in dieser Zeit eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden. Oft ergebe sich dabei, daß ein Asylantrag nicht sinnvoll sei. „Er wird oft nur gestellt, um eine Ablehnung und damit eine amtliche Ausreiseverpflichtung zu haben“, so der Vorwurf. Mit der gegenwärtigen Praxis handele der Senat rechtswidrig und setze rechtsstaatliche Verfahren zum Schutz der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge außer Kraft.

Zehn Millionen Kinder sind nach Angaben des Flüchtlingsrates weltweit auf der Flucht vor Hunger, Kriegen, militärischen Rekrutierungen, politischer, rassistischer Verfolgung oder Sippenhaft. 1.500 bis 2.500 dieser Kinderflüchtlinge – die Angaben des Senates differieren – gelinge es jährlich, nach Berlin zu kommen. Sie werden, so die Kritik des Flüchtlingsrates, nicht nach der UN-Kinderkonvention, sondern nach der restriktiven Ausländer- und Asylgesetzgebung behandelt. Deutschland ist der Kinderkonvention 1992 beigetreten. Klagewege, die erwachsenen Flüchtlingen offenstehen, werden Kindern neuerdings fast immer versperrt.

Der Flüchtlingsrat ist überzeugt, daß die Abschiebung der 12jährigen Ha Phuong Nguyen nach Vietnam im Januar – sie ist jetzt auch für Treptows Grüne Grund für Anfragen ans bezirksamt – nur der Anfang von Kinderabschiebungen war. „Die Reaktion der Senatsjugendverwaltung war nicht etwa, alles zu tun, um solche Fälle in Zukunft zu verhindern“, beklagt Rita Kantemir vom Flüchtlingsrat. „Vielmehr will der Senat verhindern, daß Kinderabschiebungen in Zukunft öffentlich werden.“

Ein der taz vorliegendes Rundschreiben an die Bezirksämter spricht davon, in zahlreichen „Altfällen kinder- und jugendgemäße Rückführungen nicht ohne Mitwirkung des Jugendamtes“ durchzuführen. Die Mitwirkung soll darin bestehen, Kontakte zur Herkunftsfamilie herzustellen. Dazu hat das Treptower Bezirksamt aber, wie es auf Aufrage der PDS eingestand, nicht einmal Honorare für SprachmittlerInnen bereitgestellt. Marina Mai