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Der britische Premier John Major erwartet seine vorletzte Niederlage

■ Bei Nachwahlen im nordwestenglischen Wirral werden die britischen Konservativen heute noch einmal tüchtig verlieren

Dublin (taz) – Nun hat er es bald hinter sich: Der Verlust eines weiteren Unterhausabgeordneten bei der heutigen Nachwahl im nordwestenglischen Wirral, der so sicher ist wie das Amen in der Kirche, ist die letzte Schlappe für den britischen Premierminister John Major vor den Parlamentswahlen. Die werden nun wohl an Majors Wunschtermin, dem 1. Mai, stattfinden. Dann, so hoffen die Tories, werden sie den Sitz wieder zurückerobern. Daß Wirral heute jedoch erst mal an die Labour Party fällt, daran zweifeln auch eingefleischte Konservative nicht.

Der Wahlkreis mit den 60.512 Stimmberechtigten, wo der legendäre Discjockey John Peel zur Welt kam, war bisher eine Tory- Hochburg. Zwar liegt Wirral gleich bei Liverpool, aber im Gegensatz zur Beatles-Stadt erfreut sich die Ansammlung der kleinen Vororte eines gewissen Wohlstands. Die Arbeitslosigkeit beträgt nur 6,8 Prozent, der Hausbesitz liegt 15 Prozent über dem landesweiten Durchschnitt, und man sieht den einen oder anderen Rolls Royce mit Chauffeur. „Surrey des Nordens“, so lautet Wirrals Spitzname in Anspielung auf die südenglische Grafschaft des gehobenen Mittelstandes. Zum Wahlkreis gehört auch Port Sunlight, ein ganzes Dorf, das der Unilever-Konzern für seine Angestellten gebaut hat.

Ben Chapman, der Labour- Kandidat, ist eigentlich nur eine Notlösung. Der Ortsverein hatte jemand anderen auserkoren, doch wurde der dann beschuldigt, seine Frau zu verprügeln – die Partei ließ ihn fallen wie eine heiße Kartoffel, weil die Labour-Strategen kein Risiko eingehen wollten.

Chapman ist mit 56 Jahren relativ alt für den Einstieg in die Parlamentspolitik. Früher war er Handelsattaché in der britischen Botschaft in Peking. Seit Anfang des Monats putzt er nun im Nadelstreifenanzug Klinken in Wirral. Sein gewichtigstes Argument ist das Gesundheitswesen: Die Tories, so warnt er immer und immer wieder, wollen es privatisieren.

Der Tory-Kandidat Les Byrom ist Grundstücksmakler. Er ist jünger als Chapman und beim Stimmenfang nicht so förmlich gekleidet. Byroms Vorgänger Barry Porter, dessen Tod die Nachwahl notwendig machte, hatte bei den letzten Wahlen eine Mehrheit von 8.183 Stimmen. Das zählt nicht viel in diesen Zeiten, in denen die WählerInnen den Tories scharenweise den Rücken kehren.

Dies wissen auch die Tories vor Ort. Sie haben vorige Woche eine Hiobsbotschaft ins Tory-Hauptquartier nach London geschickt: Es werde alles noch viel schlimmer kommen als bislang ohnehin befürchtet. Darauf deuteten sämtliche Meinungsumfragen. Schuld sind, wie immer bei Nachwahlen, nicht die Lokalpolitiker, sondern die Minister im Unterhaus. Da ist es eher schädlich, wenn die Londoner Prominenz scharenweise in Wirral auftaucht. Sechs Kabinettsminister waren in den vergangenen vier Wochen vorbeigekommen, hatten jedes Baby in Reichweite geküßt und jeden Kinderwagen mit einem Sticker beklebt: „Rettet unsere Schulen!“ Die Tories wird es heute nicht retten.

Der ehemalige Premierminister Edward Heath tut ein Übriges, um Major in Panik zu versetzen. Zuerst verglich er vorige Woche das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens mit dem Bloody Sunday 1972 in Nordirland, an dem die britische Armee 14 unbewaffnete Demonstranten erschoß, und am Wochenende schien Heath auf Labour-Kurs umgeschwenkt zu sein: Ein schottisches Regionalparlament sei keine Gefahr für die Einheit des Königreiches, sagte er, und die europäische Sozialcharta und der Mindestlohn seien durchaus vernünftig. Seine eigenen Hinterbänkler bezeichneten ihn als „bestes Beispiel für New Labour“. Einer nannte ihn gar einen „verkappten Sozialisten“.

Tony Blair war auch vor Ort und wurde in Heswall, einem wohlhabenden Ort mit vornehmem Golfclub, freundlich aufgenommen. „Die Leute mögen die neue Labour Party“, sagte er. „Sie haben sehnsüchtig auf eine echte, vernünftige und ehrliche Alternative zu den Tories gewartet. Jetzt haben sie endlich eine.“

Insgeheim glauben wohl auch viele Tories, daß es Zeit für einen Wechsel ist, um die zerstrittene Partei zu renovieren. Manche klammern sich allerdings daran, daß man ihnen in Wirral lediglich noch mal einen kräftigen Schrecken einjagen will. Zur Parlamentswahl in zwei Monaten würden die Schäfchen schon zurückkehren, glaubt Majors Stellvertreter Michael Heseltine. Danach werde man eine Unterhausmehrheit von „mindestens 60 Sitzen“ haben, prophezeite er vorgestern bei einer Stippvisite in Wirral. Der wirtschaftliche Aufschwung und das traditionelle Mißtrauen gegenüber Labours Finanzpolitik würden es schon richten, wie beim letzten Mal. Und dann, so Heseltine, wäre Tony Blairs Image als Sunnyboy zerstört, und die Labour Party müßte mit einem neuen Mann wieder von vorne anfangen. Ähnliche Gedanken werden wohl auch Tony Blair durch den Kopf gehen. Ralf Sotscheck

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