„Ich bin kein Beuys-Scout“

■ 35 Jahre Kunsthallen-Chef, 50 Jahre Paula-Forscher: Günter Busch feiert am Sonntag seinen 80sten Geburtstag / Schon vorher sprach er mit der taz

Für den Bremer Kaufmannssohn Günter Busch, der auf Umwegen zur Kunstgeschichte gelangt war, ist die Beschäftigung mit Kunst „das Schönste, was es gibt“. Von 1950 bis 1984 hat er die Bremer Kunsthalle geleitet und den Charakter des Museums über Jahrzehnte geprägt. Am kommenden Sonntag feiert Günter Busch seinen 80sten Geburtstag und wird dafür mit einem Senatsempfang geehrt. Zuvor berichtete Busch der taz über ein Leben mit der Kunst, über Vorlieben und blinde Flecken sowie über seine 50jährige „Liaison“ mit der Malerin Paula Becker-Modersohn.

taz: Herr Busch, Sie haben Kunst studiert. Ursprünglich wollten Sie Künstler werden, später waren Sie deshalb einer der wenigen Museumsdirektoren, der leidenschaftlich gerne gemalt und gezeichnet hat. Wie notwendig ist Ihrer Meinung nach solch handwerkliches Können für den Posten des Museumsdirektors?

Günter Busch: Ich finde das sehr nützlich, obwohl ich immer festgestellt habe, daß viele Kollegen von der praktischen Seite herzlich wenig verstehen und sich zum Teil dieser Tatsache sogar rühmen, was ich nicht verstehen kann. Mir hat es sehr geholfen bei der Betrachtung von Kunstwerken und der Auswahl möglicher Erwerbungen. Man weiß, wie ein Ölbild des 15. Jahrhunderts aufgebaut ist, wie eine Radierung, eine Lithografie gemacht wird, man kann Restaurierungsarbeiten beurteilen.

Aufgrund einer Fußverletzung durften Sie während des Zweiten Weltkriegs studieren. Eine Zeit, in der die Nationalsozialisten viele moderne Künstler als „entartet“ diskriminierten. Wie haben Sie auf diese Kulturpolitik des Dritten Reichs reagiert?

Ich habe eine Arbeit über die „Entartete Kunst“ geschrieben, das heißt, das war ein Vortrag für den Kunsthistorikerkongreß in Ulm, ich glaube im Jahr 1969. Bei dieser Gelegenheit habe ich versucht, die Vorgeschichte ein wenig aufzuspießen, aufgehängt am Bremer 'van Gogh Skandal' von 1911, dem sogenannten Kampf um die deutsche Kunst, der ein wenig mit ähnlichen Argumenten arbeitete wie dann später die Nationalsozialisten. Mein Vor-Vor-Vorgänger Gustav Pauli (Pauli war der erste Kunsthallen-Direktor, Anm. der Redaktion) hat dabei eine hervorragende Rolle gespielt. Er hat nicht nur diesen fabelhaften van Gogh gekauft, er hat ihn auch gegen die bornierten Vorstellungen eines breiten Publikums durchgesetzt.

Als Sie 1945 – noch während des Krieges – als Kustos in der Bremer Kunsthalle anfingen, fanden Sie ein angeschlagenes Museum vor. Wie haben Sie die Situation in den Griff bekommen?

Das Haus war zu einem Fünftel zerstört, war ganz durch die Bomben durchgepustet. Die Sammlungen waren zum größeren Teil ausgelagert an drei Bergungsorten. Die habe ich Anfang des Jahres 1945 teilweise selbst zurückgeholt mit einem amerikanischen Soldaten als Bewachung. Der hatte ein Gewehr, wir hatten einen Möbelwagen. Der andere Bergungsort in der Mark Brandenburg mit kleineren Formaten, darunter aber das Wertvollste, war mehrfach geplündert worden.

Wollten Sie die durch die Nazis beschlagnahmten Gemälde ersetzen oder die durch die Kriegsverluste in den Kunsthallenbesitz gerissenen Löcher stopfen?

Ich habe mich für beides entschieden und war dadurch in der so schwierigen wie angenehmen Situation, daß ich die ganze Kunstentwicklung in Europa von der Gotik bis zur Gegenwartskunst zu bedenken hatte...

... und das war schon damals eine Arbeit unter schwierigen materiellen Bedingungen...

... denn der Bremer Kunstverein ist der einzige in Deutschland, der ein Museum betreut. Er hat deshalb seit der Inflation einen Vertrag mit der Stadt, die dabei eine Reihe von Zuwendungen garantiert hat. Zu diesen Zuwendungen gehören auch Mittel zur Vermehrung der Sammlung. Seit Jahren gibt es von der Stadt keine Mittel mehr dafür – nur gelegentlich und punktuell. Ein Großteil meiner Tätigkeit bestand also darin, Mittel aufzutreiben und Interesse zu wecken bei Leuten, die etwas Geld hatten.

Sie waren also schon damals eine Art Kulturmanager?

Das hieß damals angenehmerweise noch nicht so. Und die Leute, die Geld gaben, waren noch keine Sponsoren, sondern Mäzene.

Sie selbst haben quer durch die Jahrhunderte gesammelt. Nach welchen Kriterien haben Sie Kunst angekauft?

Man hat Vorlieben und gewisse blinde Flecke. Durch die materiellen Schwierigkeiten war es notwendig, Schwerpunkte zu setzen. So habe ich frühzeitig Beckmann-Radierungen ab 30 Mark gekauft, zu einer Zeit, als Kirchner- und Nolde-Grafiken schon um die 100 oder 1.000 Mark kosteten. Es waren also auch praktische Überlegungen, um erste Qualität an das Vorhandene anzufügen.

In Ihre Kunsthallen-Zeit fallen wichtige Ausstellungen etwa über Paula Becker-Modersohn oder Max Beckmann. Und die Gegenwartskunst? Hatten Sie keine Lust, auch mal Künstler wie Joseph Beuys auszustellen?

Sie können doch nicht von jemandem erwarten, daß er in hohem Alter wieder der Gegenwart hinterherläuft. Man muß doch zu dem stehen, was man getan hat. Jede Generation hat ein Weltbild, und ich bin kein Beuys-Scout. Abgesehen von einer kleinen Collage habe ich nie etwas für die Sammlung gekauft oder kaufen wollen (lächelt). Mir ist das künstlerisch zu wenig. Man ist eben mit den Scheuklappen seiner Generation ausgestattet.

Ihr wissenschaftliches Interesse gilt vor allem auch Paula Becker-Modersohn. 50 Jahre lang haben Sie sich immer wieder mit dieser Künstlerin auseinandergesetzt, und jetzt veröffentlichen Sie das bisher umfangreichste Gemäldeverzeichnis. Mit welchen Vorurteilen räumen Sie auf?

Paula Modersohn wird auch heute noch weithin als eine Worpsweder Malerin betrachtet. Das war sie auch, aber auch eine Malerin von europäischem Rang. Aufgabe des Werkverzeichnisses ist es zu zeigen, wie diese erstaunliche Person in praktisch zehn Jahren über 700 Bilder und ein Mehrfaches an Zeichnungen geschaffen hat und wie sie durch ihre Auseinandersetzung mit der französischen Malerei die deutsche Malerei der Moderne frühzeitig mit der allgemeinen europäischen Entwicklung verbunden hat. Das ist immer noch nicht in angemessenem Maß erkannt worden. Die französische Kunst ist mir immer wesentlicher Maßstab gewesen und Paula befruchtender Ausgangspunkt.

Fragen: Sabine Komm