Jägermeisters Meisterstück

Der Schriftsteller als Gastgeber oder jeder versteht alles: Techno trifft Literatur – ein Abend im Kreis der Lieben und die neueste, in Buchform vorliegende Kooperation von DJ WestBam und dem Schreiber Rainald Goetz  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Am Ende fühlte man sich so ähnlich wie früher: Am Morgen standen alle in morgendlicher Auflösung herum, auch wenn es erst drei oder vier war, mithin eine Zeit, in der andere erst so allmählich loszugehen pflegen. Alle waren also betrunken, wippten noch ein wenig hin und her. DJ WestBam rief locker „Vorlesen, vorlesen“, paar andere Stimmen riefen mit und hörten dann wieder auf. Rainald Goetz umarmte Helga Paris. Einige wollten noch unbedingt Jägermeister trinken. Da und dort wünschte man sich Glück zum nächsten Mal. Dann fand man wohl Taxis und wieder nach Haus. Komisches Ende eines seltsamen Abends im Suicide, an dem der technobegeisterte Münchener Schriftsteller Rainald Goetz sein neues Buch vorgestellt hatte.

Was heißt vorgestellt – am Eingang hatte es einen Büchertisch gegeben, auf dem die Bücher lagen. Dazu gab's Musik, Autogramme und eben WestBam, der später auch, möglicherweise um das teilweise doch technoungewohnte Publikum freundlich ein bißchen zu verhöhnen, selbst vor „Satisfaction“ nicht zurückschreckte. Leute scharwenzelten durcheinander – mehr Vernissagen- als Clubpublikum: Blixa Bargeld, der vor Jahren auch mal bei Merve ein Buch gemacht hatte, der neue Chefredakteur der Technozeitung Frontpage, Ralf Regitz vom E-Werk, der Kasseler Verleger Martin Schmitz, Wolfgang Müller aus Island, Patrick Walder, von dem es demnächst ein neues Ecstasy-Buch geben soll; die KollegInnen vom Kreuzberger Antiquariat „Kalligramm“, die zuvor noch nie eine Technodiskothek von innen gesehen hatten und enthemmt tranken. Peter Gente natürlich, der zuweilen etwas verloren wirkte und am Ende begeistert tanzte, eine Freundin, die immer wieder betonte, das sei doch hier alles eher ein „Zweitverwertertreffen“, oder auch Dichter wie Normann Ohler („Die Quotenmaschine“), der ansonsten eher in Kreuzberger Technokreisen zu finden ist.

Sehr voll war es gewesen und enggedrängt. Normann Ohler, der gerade drei Wochen auf Hiddensee meditiert hatte, meinte, es sei ja wie in einer Kneipe, und eigentlich wäre er ja in die Technoszene gegangen, damit es nicht mehr so ist wie in der Kneipe. Aus irgendeinem Grund murmelte er noch, daß die 68er einen Grundfehler gemacht hätten. Sie hätten nämlich nicht verstanden, daß die Uni das Böse an sich wäre. Solche Sachen rief man sich ins Ohr, jemand sagte auch: „Ein Künstler ist wahr, oder er ist keiner.“ Dann wollte Ohler in den nahen GoGo-Club, in dem ein Freund von ihm grad auflegte, und blieb dann doch, wie es an solchen Abenden üblich ist.

An die Wände hatte man Worte von DJ WestBam hinprojiziert. Zitate darüber, daß man sich auf dem Weg in die „ravende Gesellschaft“ befände, der sich mittlerweile also auch der Merve-Verlag angeschlossen hat. Nicht ganz unüberraschend übrigens. Beim Chromapark im letzten Jahr im E-Werk war man schon vertreten gewesen und „Miles Plateaux“ von Deleuze/Guattari hat mittlerweile ja jeder lesende Raver in seinem Bücherschrank stehen.

In Rainald Goetz' neuem Buch geht es also um den westfälischen Techno. Pionier, der 1985 das Label Low Spirit gegründet, den Mayday ins Leben gerufen hatte, der im E-Werk gern auflegt und in Berlin sozusagen den proletarischen Charme der Technomusik kultivierte. Immer intelligent, häufig Richtung Trashdisco; wie soll man nur sagen – in jedem Fall doch ein Sympathieträger; gerade wenn man ihm so zuschaute, wie er den Leuten zuschaute, denen er seine Musik vorspielte. Über das neue Buch von Rainald Goetz läßt sich in der Eile nicht mehr sagen, als daß es aus einer Sammlung alphabetisch geordneter WestBam-Zitate besteht.

Wer so etwas wie eine Lesung erwartet hatte, wurde enttäuscht. Es war eher eine wirkliche Party mit einem Gastgeber, der als guter Gastgeber so ungefähr mit allen seinen Gästen das Gespräch suchte und wie gewohnt aufgeregt und begeistert (wegen dieser Begeisterungsfähigkeit schätzt man ihn ja mehr als andere und als letzten dichtenden Popstar sozusagen) durch die Gegend rannte. Manchmal ging es ums Grundsätzliche, als er sich mit dem Kollegen Thomas Groß ausgiebig stritt und ihm vorwarf, er würde sich mit seinen Texten über die stellen, über die er schreibt. Wenn ich das richtig verstanden habe, wäre das eine Schweinerei. Thomas Groß hatte über den Buchmessenauftritt von Goetz vor zweieinhalb Jahren im Frankfurter Omen geschrieben und ihn damals mit Konstantin Wecker verglichen. Wär' ich auch sauer gewesen. Ein langer Streit.

Später meinte der Dichter, es sei ja so absurd, daß selbst das wütendste Streitgespräch letztlich so etwas wie ein Liebesakt sei. In seinem wunderschönen Monolog „Katarrakt“ schrieb Rainald Goetz: „Ich glaube schon, daß jeder lieber alles versteht als nicht.“