■ Erotische Hochzeitsfotografie im deutschen Osten: Zelluloid und Zellulitis
Im Lande der Ossis verläuft die Sache mit dem Sex bekanntermaßen nicht so wie im Westen. Niemals könnte sich eine Zeitschrift wie Das Magazin auf dem westdeutschen Medienmarkt halten: Die darin abgedruckten Fotos aus den FKK-Familienalben sind selbst für die „Sonnenfreunde“ zu schräg, und mit den kunstvoll gemeinten Erotikaufnahmen einer Stralsunder Schuhverkäuferin kämen weder Praline noch der Playboy zurecht. Ob im „Galerie-Café“ auf der Insel Hiddensee oder im „Spezialcafé“ im Berliner Ostbezirk Oberschöneweide, überall organisieren die Ossis Ausstellungen zum Thema „erotische Kunst“. Da mögen im Dresdener Zwinger berühmte Gemälde der Alten Meister zu sehen sein, das interessiert jedoch höchstens die Touristen. Wenn besagtes Magazin in einer ominösen Spelunke eine wüste Bilderschau anbietet, dann ist die Bude bumsvoll.
Kein Wunder, daß im Osten immer neue Sexdinger ausgedacht werden. In Leipzig etwa suchen Brautpaare immer häufiger ein Fotostudio mit dem Wunsch auf, sich zum Andenken an den schönsten Tag im Leben vor der Kamera auszuziehen. Die Motive „Nackte Frau mit Schleier“ und „Nackter Mann mit Zylinder“ sind zwar auch im Westen bekannt, doch nur im Osten wird die Ausnahme zum Regelfall: Die Leipziger Fotografen behaupten, daß sie mittlerweile mehr nackte als bekleidete Hochzeitspaare ablichten. Insbesondere die ostdeutschen Bräute von heute schenken ihren allerliebsten Jungs zur Hochzeit gerne ein heißes Bildchen von sich. Aber auch die Männer können sich für den Ausziehtrend mittlerweile begeistern, weiß die Leipziger Fotografin Ingeborg Weber zu berichten.
Meist beginnt der Fototermin mit eher „klassischen“ Aufnahmen, zweimal wird ordnungsgemäß für die Großeltern gelächelt. Dann macht die Braut die Schultern frei, zieht die lästige Strumpfhose aus, löst den Busenhalter, und bald schon räkelt sie sich ganz ohne Brautschmuck vor der Fotografin. „Natürlich muß alles seriös und ästhetisch bleiben“, hat Ingeborg Weber der Leipziger Volkszeitung anvertraut. Doch wer mag das glauben? Im Osten, das weiß jeder, geht es zu wie in Sodom und Gomorrha. Wer mit der Liebsten dort Urlaub macht, fährt garantiert allein nach Hause.
In den zonalen Fotostudios geht man ebenfalls aufs Ganze. Gleichgültig, ob frau mit Speckschwarten zu kämpfen hat oder ob der Schniepel des Mannes verschrumpelt ist, die sexuellen Phantasien müssen bildmäßig festgehalten werden. Denn im Laufe der Ehe, so die Furcht der Kunden, wird ohnehin alles verwelken. Im übrigen kann Fotografin Weber eine häßliche Narbe oder manch andere unschöne Körperwölbung mit Licht- und Schattentricks einfach wegzaubern. Und wenn das auch nicht hilft, müssen Hemdchen oder Bademantel eben anbehalten werden. Die Leute wollen auf den Bildern sexy aussehen. Wenn's nämlich nach zwanzig Jahren im Bette nicht mehr kracht, dann soll das Aktfoto als privates Stimulationsmittel herhalten.
Die frivolen Hochzeitsbilder werden keineswegs im Safe aufbewahrt; im Wohnzimmer über dem Kanapee, im Schlafzimmer über dem Futon oder gar im Büro hängt man die besten Schnappschüsse auf. Wahrscheinlich gehört das Nacktporträt im Osten demnächst zur Grundausstattung, so daß es nicht mehr gepfändet werden darf. Billig sind die Nacktbilder wahrlich nicht, eine Mikrowelle ist heutzutage preisgünstiger zu haben. Das Pfändungsrecht wird sich gewiß den landesüblichen Sitten und Gebräuchen anpassen, dafür werden die vielen Bürgerrechtler in der Ostregion schon sorgen. Carsten Otte
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