: Der Streit um die Migration geht weiter
■ Frankreichs Parlament verabschiedet ein abgemildertes Ausländergesetz
Paris (taz) – Für ein paar Tage war das Parlament im Zentrum. Wie in alten Zeiten lieferten sich linke und rechte Abgeordnete vor dicht besetzten Rängen Kampfreden, während draußen auf der Straße – und das in ganz Frankreich – gegen das nach dem Innenminister benannte „Debré-Gesetz“ demonstriert wurde. Nachdem dessen erster Artikel, der als „Aufruf zur Denunziation“ kritisiert worden war, einem konservativen Änderungsvorschlag gewichen war, zogen sich am Mittwoch abend die Filmemacher aus der Protestkoordination zurück. Andere Gruppen erklärten gestern, sie wollten weitermachen, bis die gesamte Ausländergesetzgebung der letzten Jahre falle.
„Wir bleiben wachsam“, versicherte Regisseur Bruno Podalydès, nachdem die Gruppe der 59 Filmemacher, die vor zwei Wochen mit einer Selbstanzeige eine Protestlawine ausgelöst hatte, das vorläufige Ende ihrer Aktionen erklärt hatte. Die Filmemacher hatten sich auf den ersten Artikel des Gesetzentwurfs konzentriert, wonach Gastgeber die Abreise ihrer Besucher aus visumpflichtigen Ländern im Rathaus melden müßten. Den Protesten, die mit kollektiven Selbstanzeigen anfingen und in mehreren Großdemonstrationen am Wochenende und am Dienstag abend gipfelten, hatten sich binnen weniger Tage Tausende angeschlossen. Insgesamt 120.000 Unterschriften gegen das „Debré-Gesetz“ lieferten ein Filmemacher, ein Bürgermeister und mehrere Mitglieder der „Liga für Menschenrechte“ am Mittwoch im Büro von Parlamentspräsident Philippe Séguin ab.
„Die Immigration ist nicht das wichtigste Problem Frankreichs“, erklärte der Chef der sozialistischen Fraktion Laurent Fabius. „Doch“, konterte der elsässische Neogaullist Jean Ueberschlag. Der ebenfalls neogaullistische Innenminister Jean-Louis Debré seinerseits behauptete: „Indem ich gegen die irreguläre Immigration und die Schwarzarbeit kämpfe, sorge ich für mehr Arbeitsplätze.“ Mit diesem Ausspruch bezweifelte er nicht nur die Kompetenz von Frankreichs bekanntesten Demographen und Wirtschaftswissenschaftlern, sondern stellte sich zugleich in eine Reihe mit der – im Parlament nicht vertretenen – Front National, die ihre Propaganda seit den 80er Jahren mit der Formel „Immigration gleich Arbeitslosigkeit“ bestreitet.
Worum es bei der Debatte genau geht, weiß niemand. Zahlen – oder auch nur Schätzungen – über die „illegale Immigration“ gibt es nicht. In den Gängen des Parlaments kursieren Zahlen „zwischen 200.000 und 800.000“. Die letzte konkrete Angabe datiert von 1981, als die sozialistische Regierung pauschal die „Illegalen“ legalisierte und 150.000 Menschen entsprechende Anträge stellten. Heute betreibt das Innenministerium eine feinsinnige Unterteilung in „irreguläre Immigranten“ – solche, die legal ins Land kamen und erst durch ihren verlängerten Aufenthalt „illegal“ wurden – und in „illegale Immigranten“ – solche, die von vornherein ohne Visum ins Land kommen. Und Minister Debré erklärt bei jeder Gelegenheit, er wolle die „irreguläre Immigration null“ erreichen.
Zusätzlich zur Verwirrung trägt bei, daß eine Abteilung des Innenministeriums kurz vor der Parlamentsdebatte Zahlen in Umlauf brachte, die offenbar beweisen sollen, daß die Immigration in den vergangenen Jahren im Zeichen der Pasqua-Gesetzgebung, die dem gegenwärtigen Projekt vorausgegangen ist, radikal zurückgegangen sei. Bei diesen Statistiken ist allerdings ausschließlich von legaler Immigration (Europäer aus der EU eingeschlossen) die Rede, die von über 100.000 Menschen 1990 auf knapp über 60.000 im Jahr 1995 zurückgegangen sei. Experten des nationalen Instituts für Demographie hingegen sehen bislang „keine Hinweise auf einen Rückgang der Immigration“.
Der veränderte erste Artikel des Debré-Gesetzes fand im Parlament allgemeinen Beifall – von ganz rechts, wo die verstärkten Kontrollmöglichkeiten gelobt wurden, bis links, wo von dem Wegfall der Denunziationsverpflichtung die Rede war. Andere Bestimmungen des „Debré-Gesetzes“ waren bei Redaktionsschluß noch in der Debatte. Dorothea Hahn
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