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Die Sache der anderen

■ Ausländergesetze lassen deutsche Bürger kalt

Die spinnen, die Franzosen. Da wählt ein Teil der Nation rassistische Großmäuler, die bei uns vor Gericht landen würden. Derweil erhebt sich der andere Teil zum Massenprotest gegen die Verschärfung des Ausländerrechts. Verstehe einer diese meschuggen Nachbarn im Westen. Deutschland spinnt nicht, Deutschland handelt rational, deshalb schweigt Deutschland.

Warum dieses Schweigen? Für jemanden, den man nicht zur Kenntnis nimmt, kann man nicht auf die Straße gehen. Und was man erfolgreich verdrängt, kann man nicht skandalisieren. Illegale Einwanderer, für die in Frankreich jetzt Hunderttausende Partei ergreifen, sind bei uns allenfalls Phantom: Sie existieren, ohne existent zu sein.

Schätzungsweise 500.000 Ausländer leben ohne behördliche Erlaubnis in Deutschland. Von der Politik werden sie nur wahrgenommen, wenn es gilt, sie am Grenzübertritt zu hindern. In der öffentlichen Diskussion sind sie keine Größe. Wer sich helfend mit diesen Schattenmenschen einläßt, gerät selbst in den Ruch der Illegalität. Also überläßt man die heimlichen Einwanderer sich selbst und schaut weg.

Das Wegsehen liegt in der Logik der Sache, weil sie immer Sache der anderen ist. Ausländerpolitik in Deutschland ist nie zu einer gesellschaftlichen Angelegenheit geworden. AusländerInnen erregen zwar die Emotionen der Deutschen wie kaum ein anderes Thema. Aber wie sich das gemeinsame Leben gestaltet, wie Konflikte gelöst, wie sozialer Friede geschaffen wird, fällt nicht in „unsere“ Zuständigkeit.

Wenn für Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge ein Sozialhilferecht zweiter Klasse beschlossen wird, gilt das nicht als Frage von Verfassungsrang, die ein Grundprinzip unserer Demokratie berührt. Und wenn eine Visumpflicht für Einwandererkinder eingeführt wird und selbst Kinder, die in Deutschland geboren wurden, nun eine Erlaubnis brauchen, sich hier aufhalten zu dürfen, geht kein Protestgeschrei durch die Gesellschaft. Intellektuelle schweigen, Prominente sind verschollen, nur eine kleine Schar geht auf die Straße, wo Hunderttausende sein müßten. Frankreich hat das Thema Einwanderung zum gesellschaftlichen Thema erhoben, Deutschland ignoriert es – und riskiert, daß es der Gesellschaft bald auf die Füße fällt. Vera Gaserow

Bericht Seite 2

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