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Post-Modern

Ein post-verschickter Geburtstagskuchen oder warum ich jetzt doch für den Kapitalismus bin  ■ Von Silke Mertins

Ich bin nicht kleinlich, außer wenn es um meinen Geburtstag geht. „Ganz früh“, schwor meine Mutter, habe sie „dieses Mal“die Päckchen losgeschickt, als ich – ganz nebenbei – fragte, wo eigentlich die Geschenke blieben. Ich wäre versucht gewesen, „ganz früh“als vorgestern zu interpretieren, denn die Absenderin ist keine Anhängerin der wörtlichen Wahrheit. Wenn nicht auch Klagen von meiner Freundin aus Frankfurt gekommen wären, wieso ich mich eigentlich noch nicht für das schöne Paket bedankt hätte? Über eine Woche vorher habe sie es abgeschickt.

Vier gelbe Boxen waren also unterwegs, und unsereins sitzt da am Geburtstag ohne Geburtstagskuchen. Ich rufe also bei der Post an. „Machen Sie sich keine Sorgen“, mäßigt mich die Beamtin, „die kommen schon noch.“Es ist schließlich Streik, die Post kämpft ums Überleben. Da fällt es nicht schwer, sich auf die Gemeinheiten des freien Marktes und den gerechten Arbeiterkampf zu besinnen. Man soll ja die Befreiung der Menschheit aus den Klauen des Kapitals nicht aus den Augen verlieren. Ich fasse mich in Geduld.

Und tatsächlich: Zwei Wochen nach Absendung liegt eine rote Karte im Briefkasten. Hoffnungsfroh marschiere ich zu meiner Post, Detlev-Bremer-Straße, St. Pauli. Herr Fehrin (sehr nett) kann meine Geschenke leider nicht finden. „Aushilfs-Kuriere“, zuckt er die Schultern, die hätten meine „Fracht“wohl zur falschen Poststelle gebracht. Vielleicht lägen sie aber auch noch hinten in dem „großen Paketberg“, sagt er und macht eine sehr große Armbewegung. Aber Herr Fehrin will – „versprochen“– dafür sorgen, daß sie mir noch mal zugestellt werden.

Drei Tage später: Wiederum eine rote Mitteilungskarte, jetzt soll ich zum Postamt Rambachstraße, gleich bei Gruner und Jahr. „Wirklich seltsam“, ist die Postbeamtin mit mir entrüstet, daß auch hier die Pakete nicht sind, weil sie inzwischen nach St. Pauli zurückgeschickt worden seien. Dort aber, ergibt die telefonische Nachfrage, sind sie nicht. Nun wird ein Kollege mit der Nachforschung beauftragt.

In Herrn Kock habe ich einen wahren Fürsprecher und engagierten Kämpfer im Dienste des Kunden gefunden. Das passiere öfters, mault er lautstark, „was meinen Sie, warum ich so graue Haare habe!“Der Post-Service wird bemüht, andere Ämter angerufen, hin- und hergerätselt. „Ja, soll ich die Kundin etwa zum Hühnerposten schicken?“, schnauzt er ins Telefon. So ginge es doch nicht, und er mache das nicht mehr mit, und bald habe er nicht nur graue Haare, sondern sie fielen ihm auch noch aus, und in acht Wochen gehe er ohnehin in Pension. Bums, aufgelegt. „Die rufen zurück“, informiert er mich, während ich gerade darüber nachdenke, wie mein inzwischen drei Wochen alter Geburtstagskuchen wohl aussieht.

Sie riefen nicht zurück. Meine Geschenke sind spurlos verschwunden. Herr Kock bleibt an der Sache aber dran und mit mir in Kontakt. Übrigens bin ich jetzt doch für den Kapitalismus.

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