Die Nummer eins in der City

In der nahen Zukunft will die BVG vier Fünftel des Verkehrs in der Innenstadt abwickeln. Bis zum Jahr 2000 soll die Hälfte des Personals abgebaut werden  ■ von Bernhard Pötter

Science-fiction-Fans werden enttäuscht: Der öffentliche Nahverkehr wird auch in zehn Jahren nicht über menschentransportierende Bürgersteige oder eine private Auffahrt auf die Transrapid- Strecke abgewickelt werden. Revolutionäre technische Durchbrüche erwartet die BVG nicht – wohl aber die Verdichtung des ÖPNV- Netzes in der Innenstadt und eine Verlagerung des Autoverkehrs an die Randbezirke. Die größte Umwälzung aber steht den Verkehrsbetrieben selbst bevor: Bis zum Jahr 2000, so die verwegene Planung, soll der Betrieb, der momentan jährliche Verluste von fast einer Milliarde Mark einfährt, marktfähig sein.

Weit über eine Milliarde Mark investieren Verkehrsbehörde und S-Bahn GmbH bis zur Jahrtausendwende in das Schienennetz: Die S-Bahn etwa baut die Strecken Tegel–Henningsdorf, Westkreuz–Rathaus Spandau, Lichterfelde- Ost–Lichterfelde-Süd und schließt den Ring im Norden zwischen Jungfernheide und Schönhauser Allee und im Süden zwischen Neukölln und Treptower Park. Die Strecken der Straßenbahnen sollen an mehreren Stellen verlängert werden, die umstrittene U-Bahn zwischen Vinetastraße und dem S-Bahnhof Pankow wird gebaut. Mit neuen Buslinien will sich der Betrieb flexibel an Veränderungen der Nachfrage anpassen. Die BVG, so Jürgen Roß von der Abteilung Planung und Entwicklung, wird im Jahr 2000 die Infrastruktur anbieten, um den innerstädtischen Verkehr zu 80 Prozent über den ÖPNV abzuwickeln.

Das erwartet die Politik allerdings auch. Schließlich hat Berlin sich verpflichtet, der BVG dafür jährlich 970 Millionen Mark zu zahlen (und knapp 50 Millionen als Kürzungsmaßnahmen wieder gestrichen). In der Koalitionsvereinbarung ist der modal split zwischen ÖPNV und Individualverkehr von 80:20 für die Innenstadt als Ziel festgeschrieben, momentan liegt er stadtweit bei 35 Prozent. Allein durch die Verdichtung der City und den dadurch zunehmenden Verkehr erwartet die BVG einen höheren Druck auf die Autofahrer, auf den ÖPNV umzusteigen. „Riesenprobleme“ mit diesem Ziel erwartet Roß allerdings, wenn sich die wirtschaftliche Lage nicht bessert: „Wenn die Büros leer bleiben, erwarten wir nur geringfügig mehr Verkehr in der City. Dann könnte es dort auch zu einem ÖPNV-Auto-Verhältnis von 50:50 kommen.“

Noch allerdings gehen die Planer davon aus, daß sich die Innenstadt belebt. Der Autoverkehr verlagert sich demnach eher auf die Pendlerströme in den Außenbezirken und im Umland. Im S-Bahnring dagegen dominiert die BVG, die dann auch die Kapazität haben soll, das Innenleben einer 4-Millionen-Stadt zu bewegen. „Das System kann die Leute in großen Dimensionen wegfahren“, meint Planer Roß. Der Weg dahin ist neben den Neubaustrecken vor allem Beschleunigung des ÖPNV: Die U-Bahn sei noch lange nicht an der Kapazitätsgrenze, statt eines Zugabstandes von jetzt minimal 3 oder 3,5 Minuten seien auch Takte von 2 oder 2,5 Minuten möglich. „Teilweise sind Steigerungen um 100 Prozent möglich“, so Roß.

Auch bei Straßenbahnen und Bussen soll es schneller gehen. Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU) hat angekündigt, die Beschleunigung durch Vorrangschaltung an Ampeln für mehrere Tramlinien solle noch bis Ende der Legislaturperiode 1999 durchgesetzt werden. Ähnlich wie bei den Busspuren, wo die BVG mit einer Einsparung in Höhe von bis zu 200.000 Mark pro neuen Kilometer rechnet, spart auch eine schnellere Tram Geld: Mit einer Investition von 46 Millionen Mark könnte sie 150 Millionen Mark einsparen, hat die BVG errechnet.

„Kosten reduzieren, Einnahmen erhöhen, Qualität verbessern“ ist der Dreiklang, mit dem die BVG marktfähig werden will. Zum Thema Qualität heißt das: Einrichtung von mehr Kleinbus- Linien zum Service „bis zur Haustür“, Halten von Bussen bei Bedarf, Kundeninformationen im Internet und auf dem direkten Weg: An Haltestellen sollen Displays darüber informieren, wann genau der nächste Bus kommt.

Besser wirtschaften ist für die BVG dringend nötig. Momentan deckt sie ihre Kosten nur zu 40 Prozent. Deshalb zieht das Unternehmen vor allem bei den Personalkosten die Notbremse: Von den 30.000 Mitarbeitern von 1990 arbeiten inzwischen nur noch 20.000 bei der BVG, weitere 5.000 sollen bis zum Jahr 2000 gehen.

Den schwarzen Peter für die Tarifpolitik gibt die BVG in Zukunft ab: Für die Fahrpreise ist künftig der Verkehrsverbund mit Brandenburg verantwortlich – und damit für die brisante Frage, wann die Schallmauer von 4 Mark für einen Einfachfahrschein durchbrochen wird. Die BVG jedenfalls rechnet anders als der Normalsterbliche: Im Vergleich etwa zu London, dessen Netzgröße dem BVG-Netz gleichkomme, seien die Tickets in Berlin richtig billig.