: Keine Opferrente für NS-Verbrecher
Endlich, nach 47 Jahren, kommt eine Unwürdigkeitsklausel in das Opferrecht. Angehörige der Waffen-SS und der Wehrmacht müsen keine Kriegsbeschädigtenrente mehr erhalten ■ Aus Berlin Anita Kugler
Die Kriegsbeschädigtenrenten für in Deutschland lebende Angehörige der Waffen-SS und anderer NS-Verbrecher können nach Auffassung der Bonner Koalition nun doch gestrichen oder gekürzt werden.
Bislang sah das Bundesversorgungsgesetz aufgrund einer Entscheidung des Gesetzgebers aus dem Jahre 1950 einen „Ausschlußtatbestand für Kriegsverbrecher oder anderweitig belastende Personen nicht vor“. Vor der Gewährung der sogenannten Kriegsopferrente fanden deshalb nicht einmal Überprüfungen der im Inland lebenden Antragsteller statt. Für im Ausland lebende Leistungsbezieher gibt es eine Unwürdigkeitsklausel.
Personen, die sich nachweislich an Verbrechen wider die Menschlichkeit beteiligten, werden — zumindestens theoretisch — nicht mehr von der Bundesregierung alimentiert.
Die sehr liberale Haltung gegenüber Kriegsverbrechern, die im Inland leben und dennoch eine Kriegsopferrente beziehen, sind jetzt auch die Union und die FDP bereit, zu ändern. Vor der ersten Lesung eines Antrags der Fraktion Bündnis 90/Grüne am späten Donnerstag abend im Bundestag legten Wolfgang Schäuble (CDU), Michael Glos (CSU) und Hermann Graf Solms (FDP) einen eigenen Antrag vor. Dieser trägt den Titel: „Leistungsauschluß bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit“.
Danach sollen Personen, die „individuelle Schuld“ auf sich geladen haben, „bei zumindest krassen Fällen“ von staatlichen Versorgungsleistungen ausgeschlossen werden. Im ersten Schritt allerdings nur die „Neufälle“. In einem zweiten Schritt solle dann geprüft werden, ob diese „Ausschlußregelungen“ auch für die Inlandsaltfälle“ gelten können. Volker Beck von den Bündnisgrünen bezeichnete dies in der Debatte als „viel zu vorsichtig“. Ihr Antrag sieht vor, daß kein Kriegsverbrecher und kein freiwilliges Mitglied der Waffen-SS einen Anspruch auf Kriegsopferrente hat: „Die Waffen-SS war nach dem Diktum des Nürnberger Gerichtshof wie die SS eine verbrecherische Organisation. Deshalb muß die freiwillige Mitgliedschaft in der Waffen-SS ein hinreichendes Kriterium einer Leistungskürzung oder -verweigerung sein.“ Die SPD-Fraktion legte keinen Antrag vor. Sie möchte nach den Worten von Ulrike Mascher erst prüfen lassen, ob Auschlußtatbestände verfassungsrechtlich überhaupt haltbar sind.
Dafür stehen aber die Chancen laut Bundesregierung gut. Sowohl die Grünen als auch die Koalition stützten sich bei ihren Anträgen auf eine Einschätzung des für Kriegsopferrenten zuständigen Ministerium für Arbeit und Sozialordnung vom 24. Februar. Dort heißt es: „Der heutige Gesetzgeber ist frei, über eine Aufnahme einer Unwürdigkeitsklausel in das Bundesversorgungsgesetz für die Zukunft zu entscheiden.“ Verfassungsrechtlich sei der Gesetzgeber nicht gehalten, es bei der Bewertung von 1950 zu belassen. „Weder das Rechtsstaatsprinzip noch das Sozialstaatsprinzip oder andere Bestimmungen des Grundgesetzes würden einer modifizierten Regelung von vorneherein entgegenstehen.“
Einer neuen politischen Entscheidung stünde auch nicht das rechtstaatliche Rückwirkungsverbot im Wege. Mit anderen Worten: Wenn die Bundesregierung es will, kann sie 52 Jahre nach Kriegsende endlich beschließen, daß Kriegsverbrecher ihre Untanten nicht mehr versilbert bekommen. Ins Gerede kam das heute noch geltende, großzügige Versorgungsgesetz aus dem Jahre 1950 vor allem durch einen Beitrag des Fernsehmagazins „Panorama“. Es berichtete, daß von den insgesamt 1,1 Millionen Personen, die eine Kriegsopferrente beziehen, etwa 50.000 Kriegsverbrecher seien. Als besonders spektakuläre Inlandfälle nannte das Magazin den Wehrmachtsleutnant Wolfgang Lehnigk-Emden, der pro Monat 708 Mark erhält, und den früheren SS-Zugführer Heinz Barth. Lehnigk-Emden wird vorgeworfen, 1943 in Italien 22 Zivilisten ermordet zu haben. Barth erhielt, bis ihm das Versorgungsamt Cottbus die Rente eigenmächtig strich, 800 Mark „Opferrente“ im Monat, insgesamt bisher 40.000 Mark. Er sitzt als verurteilter Kriegsverbrecher im Gefängnis Brandenburg/Havel, weil er und seine SS-Einheit im Juli 1944 in Oradour/Frankreich 642 Menschen, darunter 202 Kinder, erschossen.
Insgesamt gibt es nach Auskunft der Bundesregierung noch 1,1 Millionen frühere Wehrmachtssoldaten, Waffen-SS-Angehörige oder Hinterbliebene, die aufgrund einer „Kriegsverletzung“ eine Versorungsrente beziehen. 1996 kosteten sie die Steuerzahler 12,77 Milliarden Mark.
Stimmt die Angabe von „Panorama“, daß sich unter diesen 50.000 Kriegsverbrecher befinden, dann hat die Bundesregierung 1996 etwa 667 Millionen Mark an Mörder und Henker bezahlt.
Von diesen 1,1 Millionen Versorgungsberechtigten leben 37.076 im Ausland, davon fast 29.000 in Ost- und Mitteleuropa. Die Auslandsrenten kosteten 1996 insgesamt 171,3 Millionen Mark. Ein Teil dieser Renten, so die nach Dänemark, Belgien oder den Niederlanden, zahlt die Bundesregierung über Tarnorganisationen oder das Deutsche Rote Kreuz „verdeckt“. „Diese Praxis ist einfach unglaublich“, sagte Volker Beck am Donnerstag abend, denn „alleine unter den 183 Leistungsempfängern in Dänemark befinden sich mindestens zehn verurteilte Kriegsverbrecher“.
Theoretisch gilt für die Auslandrentenbezieher die Unwürdigkeitsklausel. Sie wird allerdings so selten angewandt, daß die wenigen Fälle für großes öffentliches Aufsehen sorgen.
Erst vor ein paar Tagen strich das Versorgungsamt in Bremen zwei in den USA lebenden früheren SS-Angehörigen die Rente. Darunter ist der Litauer Kazys Ciuinskas. Seit 1966 erhielt er diese Rente, zuletzt waren es 879 Mark im Monat. Er gehörte zu einem litauischen SS-Bataillon, welches in Weißrußland Tausende von Juden ermordete.
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