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Wider die Melancholie der Wende

Eine Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung notierte Ossi-Erfahrungen beim „Umbau des Sozialsystems“. Der Zorn der frühen Einheitsjahre vermischt sich allmählich mit Optimismus  ■ Aus Berlin Christian Semler

Die Veranstaltung des letzten Wochenendes in Berlin versammelte langgediente westdeutsche Experten der Sozialpolitik im Osten. Dabei waren auch abgewickelte, versehentlich im Amt belassene oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen untergekommene DDR-Wissenschaftler. Aber auch unverzagte Aktivisten, die sich auf dem östlichen Wohlfahrtsmarkt behaupten und politische Praktiker aus dem Umfeld der Bündnisgrünen. Ebensowenig fehlte ein ebenso sachkundiges wie kritisches Publikum aus allen „neuen Ländern“, das die Phase subalternen Jammerns indes noch nicht ganz hinter sich gelassen hat.

Ergebnis: eine einhellige Kritik daran, wie das westdeutsche Sozialsystem den Ostverhältnissen technokratisch übergestülpt wurde, und Streit darüber, wie aus siebenjährigem Abstand das vormundschaftliche Versorgungssystem DDR heute zu beurteilen sei. Man zeigte schließlich eine große Offenheit gegenüber „basisbezogenen“ Reformprojekten.

Ganz im Gegensatz zum gängigen Vorurteil, die „Ossis“ würden alles vom Staat erwarten, zeigte die Tagung, daß die meisten Referenten und Diskussionsteilnehmer das „Subsidiaritätsprinzip“ ernst nahmen, allerdings demokratisch gewendet sehen wollten. An den traditionellen Wohlfahrtsverbänden wurde vor allem ihre zu große Staats- und Parteiennähe beklagt, aber auch ihre Zielsetzung, die viel mit Befriedungsstrategien, wenig jedoch mit Partizipation und Selbstorganisation zu tun habe (so Peter Müller, Medizinsoziologe aus Dresden, der an einem Büro für soziale Erfindungen mitwirkt).

Marianne Schulz, joblose Sozialwissenschaftlerin aus Berlin, konstatierte ein Riesenloch dort, wo demokratische Selbstverständigung aller an der Wohlfahrt Beteiligten über die Grundlagen des Einigungsprozesses stattfinden müßte. Irma Hanke, erfahrene Analytikerin der Widersprüche realsozialistischer Sozialpolitik, erinnerte daran, wie das SED-Regime aus Angst vor Unruhe in der „herrschenden Klasse“ und unter dem Druck der BRD es versäumte, die Ziele der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ den DDR-Möglichkeiten anzupassen.

Trotz großer Anstrengungen sei es der SED nie gelungen, das grundlegende Mißtrauen der Bevölkerung gegenüber der „Partei“ abzubauen. Tatjana Böhm, schon vor der Wende wissenschaftlich mit Frauenthemen befaßt und in der Wendezeit eine der führenden Sozialpolitikerinnen, beklagte das Verschwinden der Geschlechterfrage aus dem gegenwärtigen politischen „Diskurs“. Sie beharrte darauf, daß die Frauenpolitik der SED zum Schluß nur als familienfixiert, rollenzementierend und die Rechte der Frauen unterminierend angesehen werden könne.

Sie erntete mit dieser Sicht heftigen Widerspruch im Publikum vor allem seitens einer Reihe ihrer Weggefährtinnen, die ihre gegenwärtige soziale Misere an ihrer Existenz in der späten DDR maßen. So zeigte sich, daß die Kritik am Patriarchalismus gegenwärtig schlechte Karten hat gegenüber einer allgemeinen sozialen Anklage.

Wolfgang Engler, Philosoph und Soziologe, zog elegante dialektische Kurven. Seine These: Die Vergesellschaftungsformen in der DDR, insbesondere das Kollektiv, hätten eine Doppelfunktion gehabt – einerseits Disziplinierungs und Mobilisierungsinstrumente, Orte eigenständigen Denkens und Handelns andererseits. Mit dem Schwinden des utopischen Projekts Sozialismus in der Spätphase hätte die zweite Funktion die Oberhand gewonnen. Die Wende als Massenerhebung sei nur geglückt, weil das „Wahre“ an den Kollektiven zum Durchbruch kam.

Die späte DDR – eine schwache Gesellschaft mit starken Menschen? Darauf Siegrid Meuschel von der Universität Leipzig: „Wo sind die nur geblieben?“

Die einzelnen Segmente der Sozialpolitik im Osten wurden der Gruppenarbeit überantwortet. Instruktiv hier besonders die Arbeitsgruppe zur Altenpolitik, die die Schwierigkeit aufwies, die Schicht der immer jünger werdenden Alten einzubeziehen. Der „Aktion 55 (Jahre)“, bei der, gegen ein Taschengeld von 200 (heute 150 Mark) monatlich die Jung-Alten ihre Generationsgenossen mobilieren sollen, wurden nur mäßige Erfolge attestiert.

Woher sollen, nach dem Zusammenbruch der politischen Rahmenbedingungen und unter der Vorherrschaft der Wohlfahrtsgroßorganisationen, die „Ehrenamtlichen“ kommen? Am besten, so schien es, ist noch die gewandelte „Volkssolidarität“ mit dem Problem zurechtgekommen. Sie steuerte eine Riege von selbstbewußten und sachkundigen Diskussionsteilnehmern bei.

Dann noch der Aufmarsch der Sozialreformer mit Warnfried Dettling an der Spitze, der gleich einem „Maschinengewehr Gottes“ die Zuhörerschaft mit seinen Thesen vom Ende der Erwerbsgesellschaft eindeckte. Trotzdem verbreitete er Optimismus und schmeichelte den Frauen mit ihrer künftigen Rolle als dominierender Kraft des „dritten Sektors“.

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