: Schnelle Hilfe hätte nicht geholfen
■ Nicht die unterlassene Hilfeleistung, sondern die Schüsse töteten Peter Fechter. Zwei DDR-Grenzer sind geständig
Berlin (taz) – Der Prozeß um den Tod des Grenzflüchtlings Peter Fechter am 17.August 1962 begann gestern mit einer Sensation. Zum Auftakt des Verfahrens vor dem Berliner Landgericht präsentierte Otto Prokop, Leiter der DDR-Gerichtsmedizin in der Charité-Klinik, den verschollen geglaubten Obduktionsbericht, demzufolge dem verletzten Flüchtling auch durch rasche Behandlung nicht zu helfen gewesen sei.
Westliche Beobachter hatten den niedergeschossenen Fechter 50 Minuten am Boden liegen sehen, bis DDR-Grenzsoldaten ihn abtransportierten. Gemeinsam mit dem gleichaltrigen Helmut Kulbeik hatte der siebzehnjährige Maurergeselle Fechter den Stacheldraht an der Berliner Zimmerstraße überwunden. Kulbeik gelangte über die Mauer. Fechter zögerte einen Augenblick und wurde getroffen. Mehr als eine Dreiviertelstunde verging, bevor Grenzsoldaten den Schwerverletzten bargen, der kurz danach im Krankenhaus starb. Da zum gleichen Zeitpunkt ein Kamerateam im Westen über die Grenzanlagen hinweg filmte, ging das Bild des verblutenden Peter Fechter um die ganze Welt.
Behutsam versuchte der Vorsitzende Richter Hans-Jürgen Schaal, die beiden ehemaligen Grenzwächter zu Auskünften über den Tod des Flüchtlings Peter Fechter ein Jahr nach dem Bau der Mauer, 1962, zu bewegen. Doch ebenso wie Staatsanwalt Joachim Riedel brachte er nur vage Antworten aus den Befragten heraus. Die beiden wegen Totschlags angeklagten Grenzwächter Rolf F. und Erich S. beteuerten, sie hätten den Fliehenden aufhalten, aber nicht töten wollen. Der 61jährige Rolf F. ließ seinen Rechtsbeistand Dirk Lammer eine Erklärung verlesen. Am betreffenden Nachmittag habe er, aufgeschreckt von seinem Posten, in Richtung Grenze geschossen, ohne jemanden zu sehen. Nach den Schüssen seien beide Posten ausgewechselt worden. Von dem Toten will Rolf F. erst aus dem Westfernsehen erfahren haben. Die Aussage des 55jährigen Erich S. kam schleppend und zögernd, unterbrochen von minutenlangen Schweigepausen. Zu dem Vorfall könne er nicht viel mehr sagen, als daß nichts mehr zu ändern sei und es ihm sehr leid tue.
DDR-Berichte sagen übereinstimmend, daß Rolf F. von seinem erhöhten Schießstand gezieltes Dauerfeuer auf die zwei Flüchtenden in 50 Meter Entfernung abgab und sein Postenpartner Erich S. seinem Beispiel folgte. Einem Journalistenteam gelang es 1995, die DDR-Akten ausfindig zu machen, die S. und F. als die Schützen benennen. Für den Prozeß ist ein weiterer Verhandlungstag angesetzt. Leif Allendorf
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