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Was vom Lesen übrigbleibt

■ Der englische Schriftsteller Kazuo Ishiguro über sein jüngstes Buch und Autorenrummel

Der Roman Was vom Tage übrigblieb und seine Verfilmung bedeuteten den Durchbruch für Kazuo Ishiguro. Am Dienstag stellte der Engländer seinen neuen Roman Die Ungetrösteten in Hamburg vor. Im taz-Interview äußert er sich zu dem Buch, dem Buchbusiness und der Gier der Leser nach Gurus.

taz hamburg: Sie geben derzeit viele Interviews und lesen in verschiedenen deutschen Städten, was bleibt von solchen Tagen übrig?

Kazuo Ishiguro: Ich finde es unnatürlich, so viel zu reden, zumal die Menschen allem, was ich sage, ungeheuren Respekt entgegenbringen. Das ist tückisch, denn ich soll zu vielen Dingen etwas sagen, zu denen ich keineswegs immer eine Meinung habe. Man antwortet dann aus Höflichkeit. Beim nächsten Mal gibt man dieselbe Antwort, und mit der Zeit übernimmt man diesen häufig vorgebrachten Standpunkt. Das ist die große Gefahr des doing publicity.

Die Hauptfigur in den Ungetrösteten ist ein Künstler, der Pianist Ryder. Ihm strömen viele Hoffnungen und Erwartungen entgegen. Was erwartet das Publikum von Ihnen, dem Schriftsteller?

Die Menschen gieren geradezu nach Gurus, nach Führern. Und je bekannter man wird, desto größer die Erwartungen des Publikums. Das hat wohl mit einem Vakuum in der politischen Sphäre zu tun – es gibt ja kaum charismatische Politiker. Deshalb wird ein erfolgreicher Künstler nach allem möglichen gefragt. Es ist befremdlich und traurig zugleich, was die Leute alles von einem erhoffen. In dieser komplexen Welt suchen sie nach Orientierungen, nach Helden.

„Die Ungetrösteten“zeigt eine Stadt und einen Künstler in der Krise. Sie sprachen über das Fehlen von Vorbildern, handelt nicht auch Ihr Buch von der Suche nach Leitfiguren und Idealen?

Sicher, aber die Krise in den Ungetrösteten ist eine phantastische Krise, keine allegorische. Sie steht also nicht für eine tatsächliche Krise in irgendeinem europäischen Land der Gegenwart. Ich entwerfe eine Gesellschaft, die spürt, daß sie in die falsche Richtung geht. Die Menschen sind überzeugt, daß diese Fehlentwicklung mit ihren fragwürdigen musikalischen Werten zusammenhängt. Ich erfinde also eine völlig andere Realität als die wirkliche Wirklichkeit. Auch die Musiker, die ich erwähne, gibt es nur in meinem Buch.

Wie nahe sind sich der erfundene Künstler Ryder und der reale Künstler Ishiguro?

In meinen Romanen gibt es kein alter ego des Autors. Als ich in jungen Jahren mit dem Schreiben anfing, habe ich versucht, von mir zu erzählen – aber mir wollte absolut nichts einfallen, ich fand es einfach peinlich. Es ist viel aufregender, Figuren zu erfinden, die ganz anders sind als ich. Die Ungetrösteten handelt von einem Menschen, der sein Leben lang geglaubt hat, daß sich mit seinem Können als Pianist, mit einem großartigen Konzert sein Leben erfüllt – vergeblich. Ich zeige, wie das Selbstbild dieses Künstlers zerbricht.

Das Besondere ist ja, wie Sie das erzählen: Ihre Figuren sind unfähig, zu lieben und einander zuzuhören. Ein irritierender Erinnerungsstrom scheint sie voranzutreiben.

In meinem Roman gibt es keine festen, realistischen Charaktere. Viele Interpreten haben Die Ungetrösteten mit einem Traum verglichen. Das stimmt insofern, als sich im Traum die Grenzen verwischen: Bilder aus der Vergangenheit überlagern jüngste Ereignisse, Erinnerungen legen sich über aktuelle Erlebnisse. Meiner Hauptfigur geht es wie in einem Traum: Vertrautes und Neues vermischen sich. Ryder sieht in Anderen Fragmente seiner selbst, Fragmente seiner Vergangenheit.

Sie lassen immer wieder Gegenwart und Vergangenheit ineinanderfließen, warum?

Je älter ich werde, desto mehr begreife ich, wie wichtig die Kindheit ist, wie sehr die Krisen und Konflikte der Vergangenheit das jetzige Handeln überschatten. Ich bin überzeugt: Die Dramen der Vergangenheit bestimmen unser Tun in der Gegenwart.

Fragen: Frauke Hamann

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