: Future Sounds of Berlin
Von türkischen Ornamenten und anderen Klängen: Nenn es Arabesk-Soul, nenn es Funk-Fusion-Avantgarde – das erste Album der Berliner Band Orientation ist raus ■ Von Daniel Bax
Die exakte Geburtsstunde einer Band zu bestimmen, fällt meist schwer. Ersatzweise behilft man sich beim Entwurf der Schöpfungsgeschichte mit kleinen Legenden. Manche klingen ja auch schön: Das Berliner Fusionsprojekt Orientation, so heißt es, wurde geboren, als der Jazz-Bassist Andreas Advocado den Saxophonisten Turgay Ayaydinli bei einer türkischen Hochzeit in – natürlich – Kreuzberg kennenlernte. Beeindruckt von dessen versiertem Saxophonspiel, verabredete er ein spontanes Treffen und stellte überrascht fest, wie wenig Kontakte eigentlich zwischen den türkischen Musikern und den Jazzern der Stadt bestehen. „Es gibt keinen Austausch der Szenen, obwohl das Profis sind, die jedes Wochenende zwei bis drei Gigs absolvieren“, wunderte sich Andreas Advocado.
Mädchenschwarm Turgay, der schon seit seinem 13. Lebensjahr in diversen Hochzeitskapellen mit ständig wechselnder Besetzung mitspielte, begann seine Musikerlaufbahn, als der ältere Bruder für seine Band einen Klarinettisten suchte und kurzerhand Turgay beauftragte, das Instrument zu lernen. Der übte die türkischen Standards ein und entwickelte eine ganz eigene Spieltechnik.
„Turgays Bruder hat auf meinem Beschneidungsfest gespielt“, erinnert sich Ünal Yüksel, in dessen Moabiter Hinterhofstudio man sich fortan traf. Ünal, der Produzent, sorgte auch dafür, daß der Arabesk-Sänger und Ney-Spieler Günay zu der Gruppe stieß, deren Kreis sich mit der Zeit beständig vergrößerte auf jene bis zu acht Menschen, die manchmal als „Orientation“ auf der Bühne stehen: eine bunte Truppe, die so wahllos zusammengewürfelt wirkt wie Menschen, die sich zufällig in der U-Bahn gegenübersitzen.
Günays ausdrucksstarke Stimme, die früher oft auf Hochzeiten und im privaten Kreis ertönte, hat bereits ein richtiggehendes Fanpublikum in ganz Deutschland, und Andreas weiß zu berichten, daß schon Landsleute aus dem Westen Deutschlands eigens nach Berlin gefahren sein sollen, um die Scheibe zu kaufen, auf der Günay erstmals zu hören ist.
Die werden wahrscheinlich erstaunt sein, was sie da zu hören bekommen: „sehr urbanes Zeug“ mit durchgängiger Club- und Jazz-Prägung, weit entfernt von herkömmlichen türkischen Klängen, aber auch vom bisherigen Sound der Band – „der Bruch ist gewollt“. Uneinig ist man sich aber noch, wie man das Kind bezeichnen soll: Für „Arabesk-Soul“, plädiert Produzent Ünal, unter „Funk-Fusion- Avantgarde“ würde Bassist Advocado die Platte mit dem Bellydance-Cover gerne einordnen.
Übereinstimmung herrscht darüber, daß es keine einfache Geburt war. Zwei Jahre hat es gedauert, in insgesamt vier Studios entstanden die Aufnahmen, eins davon gar in New York, wo Andreas Advocado ein paar Baßsoli einspielte. In Istanbul nahm Ünal vor Ort atmosphärische Geräusche auf, die nun die Klangkulisse des Albums bilden, und lud die Musiker des zehnköpfigen Murat Sakaryali-Streichersembles ins Studio. „Diesen Streichersound findest du sonst nirgends“, schwärmt Andreas, und „einfach wunderschön“ findet sie auch Klangfrickler J.J. Cooper, der für den endgültigen Remix sorgte. Er riß das bestehende Material in bewährter „Liqid Lounge“-Manier rigoros auseinander und fügte es, mit Drum 'n' Bass und TripHop- Beats verstärkt, zum visionären Großstadtszenario wieder zusammen, welches nicht zuletzt durch die beiden Gastsängerinnen Pinar Demirel und Aziza A. um zusätzliche Akzente bereichert wird – Future Sounds of Berlin.
Fragt sich nur, ob man damit auf offene Ohren stößt, hüben wie drüben. J.J. Cooper ist sich sicher: „In der Türkei gibt es genug Leute, die weit genug sind, um damit klarzukommen“, doch Andreas Advocado ist skeptischer. Dabei hat ihm ein Sony-Executive, dem er das Band vorspielte, Hoffnungen gemacht, als er urteilte: „In fünf Jahren ist das hier der hippe Sound.“
Orientation: „Bosporus Bridge“ (Pantongue)
Record-Release-Party heute ab 20 Uhr im Pasha's (ehem. Dschungel), Nürnberger Str. 53
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