: "Die Unis müssen die Resignation ablegen"
■ Wissenschaftssenator Peter Radunski (CDU) fordert Experimente von den Unis. Sie sollen "über Studiengebühren selbst bestimmen"
taz: Stellen Sie sich vor, ein junger, ausgezeichneter Wissenschaftler, frisch promoviert, will gern nach Berlin kommen. Können Sie ihm eine Stelle anbieten?
Peter Radunski: Ich fürchte, die Hochschulen hier werden Probleme damit haben. Denn die gegenwärtige Finanzknappheit drückt ja gerade auf den Nachwuchs. Deswegen müssen wir eine gesonderte Nachwuchsförderung aufbauen. Das gab es schon einmal mit den sogenannten Fiebiger-Professuren. Damals blockierten ältere Jahrgänge alle Plätze. Also schuf man parallel zu den besetzten Stellen Qualifizierungspositionen, um gute Wissenschaftler nachzuziehen. Darüber denken wir wieder nach.
Sie bieten den Hochschulen einen Rahmenvertrag an, in dem Sie deren finanzielle und organisatorische Entwicklung sowie Studienreformen vereinbaren wollen. Darin heißt es: Die Hochschulen verpflichten sich, eine zentrale Reserve für Innovationen vorzuhalten. Glauben Sie, dieser Satz reicht, um akademischen Nachwuchs zu fördern?
Die Hochschulen müssen bis zum Jahr 2000 rund 380 Millionen Mark einsparen. Dies wird für ihre Struktur sehr schwerwiegend, auf Dauer folgenreich sein. Die Hochschulen werden das wahrscheinlich nur durchhalten können, wenn man ihnen Hilfsinstrumente geben wird.
Welche?
Die Hochschulen müssen die Chance bekommen, die harten Kürzungen durch Zwischenfinanzierungen abzufedern. Die CDU will einen Zukunftsfonds schaffen. Aus dem könnten die Hochschulen Kredite bekommen. Das wären zinsgünstige oder zinsfreie Darlehen, die erst später rückzahlbar wären. In Baden-Württemberg ist das bereits möglich.
Sie sprechen von einem Zukunftsfonds, den es noch gar nicht gibt.
Ich bin überzeugt, daß ein solcher innovativer Fördertopf kommen wird. Mir liegt besonders daran, daß die Universitäten aus der Krise eine Chance machen und jetzt mit vielen Reformvorschlägen kommen.
Sie selbst verschärfen die Krise noch, indem Sie die Kürzungen bis zum Jahr 2000 allein den Universitäten und Fachhochschulen aufbürden. Der Medizin verlangen Sie dagegen keinen Sparbeitrag ab, obwohl sie die teuersten Studienplätze der Bundesrepublik anbietet.
Das ist so nicht richtig. Aber die Vertragsverhandlungen werden zeigen, daß es da noch Spielraum gibt.
Trotzdem. Für die Fachhochschulen ist das bitter. Sie sollten ursprünglich zu einer Universitätsalternative aufgebaut werden – und müssen nun mit schrumpfen. Sie handeln damit gegen das ausdrückliche Reformziel der unionsregierten Länder, die Fachhochschulen auszubauen.
Ich bin selbst ein Befürworter dieses Ziels. Im Sommer wird ein neuer Hochschulstrukturplan vorgelegt. Eine der darin angebotenen Alternativen wird sein, den Bewerberzustrom an die Unis zu bremsen und den an die Fachhochschulen zu stärken. Dazu müßte man allerdings die Fachhochschulen auch besser ausstatten – und bei den Kürzungen umdisponieren. Wenn wir so eine Strukturentscheidung haben, können wir dem Rechnung tragen.
Aber diese Entscheidung gibt es doch längst.
Es gibt die Grundlage dafür. Im Senat wird überlegt, sogar die Lehrerbildung an die Fachhochschulen zu verlegen. In der deutschen Hochschullandschaft diskutieren das alle in diese Richtung.
Sie bieten den Unis und Fachhochschulen an, sich auf eine andere Art Geld zu holen. Etwa über Studiengebühren?
Nein, der Vorschlag ist in dem Vertragsentwurf nicht mehr enthalten. Denn die Sozialdemokraten weigern sich, das Hochschulgesetz zu ändern, in dem ausdrücklich steht: Studiengebühren werden nicht erhoben.
Sie verweisen in dem Vertragsentwurf auf die Experimentierklausel, die seit ein paar Tagen im Berliner Hochschulgesetz steht. Das hört sich ja gut an, den bleischweren Regelungsdruck zu mindern, der auf den Hochschulen lastet. Was sollen die Unis da ausprobieren?
Wir haben jetzt schon rund 70 Paragraphen des Hochschulgesetzes zur Disposition gestellt. Wir fordern die Unis auf, da sehr weit zu gehen. Das interessante ist, daß im Grunde alles hinterfragt werden kann. Die Hochschule kann sich Strukturen schaffen, in denen sie freier entscheiden und wirtschaften kann. Es geht dabei um das Management, um die Verteilung der Mittel und um eine stärkere Stellung der Präsidenten und Dekane. Mir wäre es auch lieb, wenn die Erprobungsklausel zuließe, daß Universitäten selbstbestimmt Studiengebühren erheben können. Da können sie dann alle Komponenten mit hineinbringen wie soziale oder familiäre.
Was wünschen Sie sich noch?
Die Universität soll die Resignation ablegen. Man muß sich das mal vorstellen. Ausgerechnet die Institution, voll von hochqualifizierten Denkern, hat das Gefühl, es geht nicht mehr weiter.
Ihre neuen Entscheidungsstrukturen mit starken Präsidenten und Dekanen klingen wie „kollektive Beratung und Einzelentscheidung“. Das war die Leitungsphilosophie des DDR-Hochschulwesens.
Eigentlich war doch der demokratische Zentralismus der Entscheidungsweg in der DDR. Das lief ganz anders.
Genau wie jetzt bei Ihnen angedacht: Der Fachbereichsrat berät einen starken Dekan – der dann die Entscheidung fällt.
Nein, ich glaube, der wirklich wichtige Punkt ist, zwischen Entscheiden und Exekutieren zu unterscheiden. Die Richtungsentscheidungen sollen schon in Gremien fallen. Aber ein Präsident oder Dekan muß in der Lage sein zu sagen: Dieses Forschungsvorhaben finanzieren wir jetzt, das trauen wir uns zu. Das ist nicht undemokratisch, sondern effizient.
Wenn Sie sich ansehen, wie viele Reformanstöße von den Studenten kamen – sei es der Reformstudiengang Medizin an der FU oder verschiedene Umweltinitiativen an der TU –, haben Sie da nicht Angst, bei der Reform der Leitungsstruktur den wesentlichen Innovationsfaktor an der Universität auszuschließen: die Studenten?
Das denke ich nicht. Es kommt darauf an, wo man sie mitsprechen läßt. Im übrigen haben die Studenten ja durch Memoranden, durch Ideenvorschläge immer die Chance, ihre Dinge einzubringen. Durch andere Paritäten würde sich das auch nicht bessern. Es ist die Frage, wo die Ideen herkommen. Und wo das Interesse der Studenten liegt. Mir fällt auf, daß sich nur ein sehr kleiner Kreis zu Wort meldet.
Wäre nicht die Stärkung der pädagogischen Kompetenz der Professoren ein Aspekt, wo den Studenten entschieden mehr Mitsprache eingeräumt werden müßte? Oder die Evaluierung?
Also, bei der Evaluierung bin ich zu 100 Prozent dafür. Der Student soll bei der Frage mehr mitreden, wie gelehrt wird. Ich finde, daß ein Professor einfach ein Interesse daran haben muß, zu hören, wie das wirkt, was er anderen erklären will, wie der Funke der Wissenschaft gewissermaßen einsinkt in die neue Studiengeneration. Humboldts „Einheit von Forschung und Lehre“ wird doch bei uns so gesehen: Ja, wir forschen, aber ob wir das noch kommunizieren können, das muß man sehen. Diese Fehlentwicklung hat schon Max Weber in „Wissenschaft als Beruf“ beschrieben. In Stanford und Harvard denkt man ganz anders: Indem ich jungen Menschen meine Forschung vortrage und mit ihnen diskutiere, lerne ich selbst etwas. Da kommt ein Impuls zurück. Das hat Humboldt gemeint.
Stichwort Beratung: Sie wollen, so lese ich es aus Ihren Studienreformvorstellungen, die Studierenden mit permanenten Beratungsgesprächen an die Hand nehmen.
Ich finde nichts dabei, wenn man an die Hand genommen wird. Jedenfalls beim Eingang in das Studium. Ich habe schon den Eindruck, daß das Abitur die Studierfähigkeit allein nicht mehr bringt. Ich bin für Auswahlgespräche, und das sind keine Eingangsprüfungen. Ein junger Mensch muß erst mal versuchen, sich in die Wissenschaftswelt einzuleben. Aber nach zwei Jahren müßte man eigentlich in der Lage sein, eine Zwischenprüfung abzulegen. Danach kann man dann eine etwas freiere Form des Studiums finden.
Wie meinen Sie das?
Sie können den ersten Teil ruhig den Lernteil nennen. Aber der zweite Teil würde den neuen Gegebenheiten der Berufswelt entsprechen. Was man lernen muß, sind Schlüsselqualifikationen. Wie man sich eindenkt in Probleme, wie man mit Situationen im späteren Leben fertig wird, wie man komplexe Vorgänge lösen kann und auch in die Breite geht.
Sie beschreiben, wie Wissenschaft funktioniert: kein fester Weg, sondern ein Ausprobieren, ein Suchen nach dem Erfolg. Ihre Reformvorstellungen gehen aber in eine ganz andere Richtung. Es sollen Studienverlaufspläne erstellt werden, die den Studenten sagen – so wörtlich –, „was sie wann und wo mit welchem Ergebnis zu studieren haben“.
Das gilt nur bis zur Zwischenprüfung. Die soll der Test für den einzelnen sein, ob er sich Wissenschaft geistig erobern kann.
Wann soll die Zwischenprüfung stattfinden?
Von Ausnahmen abgesehen, zwischen dem vierten und sechsten Semester.
Und dann?
Wer das nicht schafft, ist für das gewählte Fach nicht geeignet.
Die Rektorenkonferenz schlägt vor, andere Abschlüsse wie den Bachelor einzuführen. Und Sie schmeißen die Leute nach dem sechsten Semester raus, ohne Abschluß?
Wenn die Studenten die Prüfung schaffen und sagen, das reicht mir, dann kriegen sie natürlich einen Bachelor. Aber schaffen müssen sie es.
Wenn man sich Ihre Reform im Zusammenhang ansieht, dann sieht das so aus: weniger Geld, weniger Mitbestimmung, weniger akademische Freiheit.
Dem würde ich nicht zustimmen. Wer sagt denn, daß die Studenten weniger zu sagen haben? Das kann man ja auch ganz anders machen. Ich will mal ein Beispiel geben: Nehmen wir mal an, wir kämen zu Studiengebühren; wir schrieben fest, die Universitäten verwenden die Gebühren für wissenschaftlichen Nachwuchs und für Bibliotheken. Dann würde ich einen Verwendungsrat einrichten – und da hätten die Studenten 50 Prozent Mitbestimmung. Interview: Christian Füller
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