: Macht stark und frei
Oft irritierend und stigmatisiert: der Damenbart. Ein Plädoyer für den wilden Wuchs im Frauenantlitz ■ Von Silke Buttgereit
Die Heilige Kummernus, Tochter eines heidnischen Vaters, wandte sich dem Christentum zu. Erbost beschloß ihr Vater, sie an einen reichen Heiden zu verheiraten. Verzweifelt betete die Kummernus zu Gott, er möge diesen Kelch an ihr vorüberziehen lassen. Gott nahm sich ihrer an und ließ ihr über Nacht einen vollen Bart wachsen. Als der junge Mann sie so verwandelt erblickte, suchte er eiligst das Weite. Erzürnt über solch gerissenen Ungehorsam, ließ der Vater die Kummernus kreuzigen.
Der jungen spanischen Witwe Gala hingegen, die sich selbstbewußt des Lebens freute, wurde von Ärzten schon im Mittelalter prophezeit, daß solcher Lebenswandel ihr einen Bart sprießen lassen würde. Da sie nicht abließ, ihr Dasein zu genießen, wuchs ihr wahrhaftig alsbald ein Bart.
Der Bart gilt als sekundäres Geschlechtsmerkmal und gewinnt doch allerhöchste Priorität, weil er dort wächst, wo der Blick zuerst hinfällt – im Gesicht. Geschichten zum Damenbart erzählen immer vom scheinbaren Widerspruch zwischen Merkmal und Geschlecht. Der Damenbart verjagt Männer, wirft Geschlechtskategorien durcheinander und taucht häufig dort auf, wo Frauen ihnen gesetzte Grenzen überschreiten.
Diese Kombination birgt einiges an Bedrohung. Was bedroht, wird gerne stigmatisiert, und so wurde der Bärtigen ein verwerflicher Charakter zugeschrieben. So ist in Balthasar Permoserns „Tractat über den Barth“ von 1714 nachzulesen: „Wann du ein Weib siehest / die einen Bart hat am Maul / als dann wirff ihr einen Stein zu dem Grind / dann die seynd gemeiniglich hitzig / hefftig und böß.“
Allerdings galt und gilt dies nur für den Bart, der wachsen darf. Wird er rasiert, ausgerissen, hormonell oder mit heißen Nadeln eliminiert, kommt Mitleid auf. Beim offen getragenen Frauenbart hat die Compassion ein abruptes Ende. Die wenigsten bärtigen Frauen, ob Schnurr-, Kinn- oder Vollbärtige, bejahen ihren Bart indes so unumwunden wie Frau S. im nebenstehenden Interview. Das Ja zum Bart ist oft zunächst ein Nein zur Qual des Bartausrottens.
Doch auf dem Umweg über irritierte und aggressive Reaktionen, denen bärtige Frauen zur Genüge begegnen, gewinnt mancher alte Mythos über den Bart für sie an Wirklichkeitswert. Bei Germanen und Wikingern galt der (Männer-) Bart als Zeichen von Stärke und Mut, Bartlosigkeit wurde mit Unfreiheit gleichgesetzt.
Bart und Stärke. „Ein Bart ist wie eine Verlagerung des inneren Gefühls nach außen, anders zu sein als andere“, erklärt eine Bärtige. Und eine andere berichtet: „Durch meinen Bart stelle ich oft Geschlechtsidentitäten in Frage. Manchmal genieße ich dieses Auftreten zwischen allen Stühlen.“ Wer sich als Bärtige in den Kampf gegen etablierte Sehgewohnheiten begibt, kann sich im Spiegel der Außenwahrnehmung als selbstbewußte, Weiblichkeitsklischees widerstehende Frau erfahren.
Bart und Mut. Bart zeigen ist nicht immer leicht, aber – so der übereinstimmende Tenor aller befragten Bartträgerinnen – Entfernen ist keine Alternative. „Stolz bin ich nicht auf meinen Bart, sondern darauf, ihn zu zeigen. Moralisch empfinde ich Bartentfernung als Kapitulation. Bart verlangt Mut, und mutig lebt es sich besser.“ Bart und Selbstbewußtsein scheinen eng zusammenzugehören.
Bart und Freiheit. Die Frau mit Bart signalisiert durch Überschreitung der festgelegten Geschlechtergrenzen, daß sie als Objekt männlicher Begierde nur bedingt verfügbar ist. „Ich bin als Fotografin viel an Orten, wo Frauen sich sonst nicht alleine hintrauen. Dort habe ich das Gefühl, daß mein Bart mich schützt. Ich bin nicht die Kleine zum Ficken, sondern die Frau mit der Kamera und dem Bart. Das ist Männern oft unheimlich, und das kann helfen, sich freier zu bewegen.“
Der Mythos des Frauenbartes schreit danach, neu geschrieben zu werden. Für ein Traktat über den Bart fiele dies nicht schwer: „Wann du ein Weib siehest / die einen Bart hat am Maul / als dann zieh den Hut vor ihr / dann die seynd gemeiniglich muthig / stark und frey.“
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