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Terminators & Terminatricen

Die Maschine ist dazu da, erobert und einverleibt zu werden. Ausflug in die Welt der Cyborgs  ■ Von Ulrike Winkelmann

Wie überlebt der Mensch im All? fragten sich Manfred E. Clynes und Nathan S. Kline 1960 und antworteten selbst: als Cyborg.

Ihr Artikel in der Zeitschrift Astronautics zum Problem, wie sich der menschliche Organismus durch technische An- und Umbauten dem Weltraum anpassen könnte, wurde bald vergessen.

Doch hatten die beiden Wissenschaftler den Begriff erfunden, den die US-amerikanische Professorin Donna Haraway 1985 in ihrem Aufsatz „Lieber Cyborg als Göttin!“ aufgriff. Haraway beschwor eine feministische sozialistische Utopie: Wir sind alle Cyborgs, behauptete sie, und meinte, daß „im Zusammenbruch der sauberen Trennung zwischen Organismus und Maschine Möglichkeiten liegen, die uns Feministinnen enorm bereichern würden, würden wir sie ergreifen.“

Cyborgs, cybernetic organisms bzw. kybernetische Organismen sind Zwitterwesen zwischen Mensch und Maschine. Wer Kontaktlinsen, einen Nagel im Schienbein oder auch einen Bypass mit sich herumträgt, weiß das vielleicht nicht, ist aber ein Cyborg. Bekannt sind Cyborgs allerdings eher aus der Science-fiction. Der populärste Vertreter der Cyborgs dürfte James Camerons „Terminator“ sein, der sich so hübsch die organische Haut vom metallenen Skelett ziehen kann.

Kulturwissenschaftlerinnen wie die Berlinerin Ulrike Brunotte greifen sich die Cyborg-Figur Haraways, um dem Terminator auf den Männerleib zu rücken: In ihm sei die „bedrohliche und gleichzeitig attraktive Synthetisierung von Mensch und Ding inszeniert“, allerdings als tendenziell unsterblicher, killender Held, so Brunotte kürzlich auf einem Vortrag.

Weibliche Cyborgs tauchen in der Science-fiction bislang ausschließlich als sexy Terminatricen und Playboy-Bunnys mit Schnellfeuerwaffen auf und sind zur wissenschaftlich-analytischen Auswertung viel zu langweilig. Ebenso eindimensional sind die pubertierenden, glubschäugigen Cyborgs der Mangas und Animes, der japanischen Comics und Zeichentrickfilme.

Behauptet wird gerne, daß etwa Jodie Foster im „Schweigen der Lämmer“ oder Sigourney Weaver in den „Alien“-Folgen Cyborgs sind. Sie sind jedoch in den zur Debatte stehenden Filmen die weitaus „menschlichsten“, soll heißen organischsten Figuren und verdienen im Rahmen des Science-fiction-Genres den Titel Cyborg daher durchaus nicht.

Was aber haben (in der Regel ungeliebte) Prothesen wie Kontaktlinsen oder Kreaturen des Männlichkeitswahns wie der „Terminator“, der „Robocop“ oder der „Predator“ mit Haraways feministischen Bereicherungsmöglichkeiten zu tun? Die Technik ist die Chance, meint Haraway. Sie plädiert für ein neues Verständnis von Körper und Technik und spricht sich dafür aus, daß der Feminismus nicht die patriarchalische Lüge kopieren und der männlichen Technik die weibliche Körperlichkeit entgegensetzen darf.

Die Maschine ist dazu da, erobert und einverleibt zu werden, verkündet Haraway und setzt ihrer Idee im Manifest für Cyborgs noch eins drauf: Was sollen noch die Unterscheidungen in Körper und Geist, in Natur- und Humanwissenschaften, was soll der ganze abendländische Quark solcher mühsam aufrechterhaltenen Polaritäten? Und warum sollen Feministinnen den auch noch abschreiben? Schließlich, das hat Haraway von der Theorie der Dekonstruktion gelernt, sei die Unterscheidung der Geschlechter auch nur eine der zwecks Machterhalt genährten Kategorien des weißen Mannes.

Um sich daraus zu befreien, sich nicht von einer Rolle in die nächste schieben zu lassen und sich nicht eine Identität nach der anderen verordnen zu lassen, solle frau jenseits von Rasse, Klasse und Geschlecht ihre Subjektivitäten wechseln wie andere allenfalls ihre Unterhemden: als Cyborg.

Schön an Manifesten ist, daß sie euphorisch stimmen, und so macht auch Haraways „cyborg manifesto“ alle sorgsam gerechtfertigte Technikfeindschaft leicht vergessen. Genau genommen ist es mit Cyborg aber wie mit anderen feministischen Mythen: Ebenso wie von Hexen, Göttinnen und Medusen, von Furien, Amazonen und Tank Girls ist von Cyborgs viel die Rede. Aber wo sind die Frauen dazu? Am oder im Computer?

Die Vermutung liegt nahe, daß gerade der Raum, den die neuen, digitalen Informationstechnologien eröffnen, inzwischen nur noch ungern Cyberspace genannt, Tummelplatz für Cyborgs sein könnte. Aktivistinnen in feministischen Computerzentren in Hamburg und Berlin beschäftigen sich jedoch mit Wichtigerem und verweisen auf ihre „Bodenständigkeit“: Bevor frau zur Cyborg werde, so die Auskunft, müsse sie erst einmal den Applemac anschalten lernen. Rena Tangens vom Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD) in Bielefeld, sonst für jede digitale Spielerei zu haben, winkt ab und hält sich kritisch-bedeckt: „Eine nette Anregung, aber zwiespältig“, findet sie Haraways Cyborg. Claudia Klinger, Berliner Autorin im Internet, bezeichnet gar die Zensoren des Providers CompuServe als Cyborgs, weil sie in die Informationsfreiheit des Netzes eingreifen: Cyborg macht also auch als Schimpfwort bereits die Runde.

Allerdings werden auf vielen Homepages im World Wide Web besonders Cyborgs aufs herzlichste willkommen geheißen und qua Links in feministische Datenpools geschickt.

Auch US-amerikanische Studierende stellen ihre Hausarbeiten ins Netz, um öffentlich zu diskutieren, ob Leute, die Cybersex haben, auch Cyborgs sind (http://www. socio.demon.co.uk.home.html). Allerdings klingen die Auswertungen der Erfahrungsberichte hier, als ließen sich durch Cybersex zwar Hemmungen abbauen, nicht jedoch Geschlechtergrenzen.

Andere Links verweisen auf die Cyberfeministinnen von VNS Matrix, einer australischen Gruppe von Autorinnen, die auch ein Manifest veröffentlicht haben: das „Cybermanifest für das 21. Jahrhundert“.

VNS Matrix bezeichnen sich als das „Virus in der neuen Weltunordnung“, korrumpierend und pervers. Dazu haben sie durchaus anstößige und garstige Texte gestellt. In ihrem schleimig-anarchistischen Vokabular und der penetranten Bezugnahme auf ihre Genitalien sprechen VNS Matrix allerdings dem antigeschlechtlichen Vorsatz der Cyborg Hohn.

Vielleicht ist Donna Haraways Cyborg – durchaus auftragsgemäß – schon zu oft mutiert, als daß sie noch eine taugliche Indentifikationsvorlage für feministische Belange abgeben könnte. Vielleicht ist sie aber auch im aktuellen, wiederum männlich definierten, neuheidnischen Cyber-Kult aufgegangen, der sich über den lästigen Körper bereits vollständig hinwegphantasiert hat.

Die US-amerikanische Virtualitätstheoretikerin N. Katherine Hayles vermutet, daß der Entwurf der Cyborg, obwohl bereits von Haraway als ein „ironischer Mythos“ bezeichnet, immer noch zu nahe an der Ideologie und zu fern von jeder Handlungsanleitung ist.

Die Cyborg, meint Hayles, tauge allenfalls zum Text, genauer gesagt, zum Hypertext, der nicht linear zu lesen ist, sondern kreuz und quer und vor allem: ohne Anfang und ohne Ende. Wahrscheinlich, sagt Hayles, „ist der Cyborg- Körper der Text, und der Text ist der Cyborg-Körper.“

Zum Weiterlesen: Chris Hables Gray: „The Cyborg Handbook“. Routledge 1995; Donna Haraway: „Monströse Versprechen“. Argument 1996, 215 S., 29 DM

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