Global denken – sozial handeln

Auf einer SPD-Konferenz in Berlin fordert Oskar Lafontaine eine „neue Entwicklungspolitik“. Wird Globalisierung gar das Thema des nächsten SPD-Bundeswahlkampfes?  ■ Aus Berlin Thomas Ruttig

Zum Thema „Globalisierung“ und „Fünf Jahre nach Rio, eine alternative Standortdebatte“ hatte die SPD am Freitag ins nagelneue Berliner Willy-Brandt-Haus geladen. Etwa 500 Leute aus dem entwicklungs- und umweltpolitischen Spektrum von SPD und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) waren gefolgt. Zur Einstimmung schallte ihnen aus dem Atrium des sonnendurchfluteten Glasbaus ein angerocktes Stück Musik von einer Bandschleife entgegen: „Hey, hey, wir sind die Kids, haut uns nicht die Zukunft weg!“

Zukunftsfähigkeit war das Stichwort für die betont arbeitnehmerorientierte Auftaktrede Oskar Lafontaines. Der SPD-Vorsitzende forderte eine „neue Entwicklungspolitik“ und unterzog die herrschende „neoliberale Denkungsart“ einer Grundsatzkritik. Sie lege mehr Wert auf niedrige Inflations- als auf niedrige Arbeitslosigkeitsraten und sei „ideologisch ausgerichtet, nicht rational“. Statt dessen müsse eine „neue Weltwirtschaftsordnung“ her, die an „weniger Umweltverbrauch und der Schaffung von mehr Arbeitsplätzen orientiert“ sein soll. Der eigenen Partei legte Lafontaine dafür elf Punkte nahe, die dann in einer Art modernem Trickle-down-Effekt auch „den Entwicklungsländern zugute kommen“ würden: von einer weltweiten Neuordnung der Zins-, Wechselkurs- und Steuersysteme über Regionalisierung als „Weltprojekt“ bis zu verbesserten Arbeits- und Lebensbedingungen für Frauen. Damit bot er zwar nichts grundsätzlich Neues. Dennoch dürfte für den Geschmack der regierenden Wirtschaftsliberalen in Bonn in diesem Konzept zu viel staatlich-ordnendes Eingreifen enthalten sein.

Aufmerksame Zuhörer registrierten aber auch einige Relativierungen, zum Beispiel als der SPD-Chef ausführte: „Die Arbeitsmärkte sind für uns wichtiger – vielleicht – als die Finanzmärkte.“ Daß die Bundesrepublik an Waffenexporten in Krisengebiete beteiligt ist, sei „nicht vertretbar – im Grunde genommen“.

Bremens Oberbürgermeister Henning Scherf, Vorsitzender des SPD-Forums Eine Welt, forderte mit hoffnungsvollem Blick auf seinen Parteichef, das Thema Globalisierung, ausgehend von der sozialen Frage im eigenen Lande, zum zentralen Thema im nächsten Bundestagswahlkampf zu machen. Denn, so Scherf, er habe „quer durch die Generationen eine neue Sensibilität“ bei den Wählern für dieses Thema ausgemacht. Das sah der Vertreter einer Ostberliner NGO ähnlich: „Mit diesem Ansatz würden die Sozialdemokraten eine Mehrheit in diesem Land finden.“

Hajo Hoffmann, Oberbürgermeister von Saarbrücken und Vorsitzender der SPD-Grundsatzkommission, versuchte in einem Schlußwort, die theoretische Debatte auf konkrete kommunalpolitische Schritte herunterzubrechen. Doch Förderung des öffentlichen Nahverkehrs, Flächenentsiegelung und der Aufbau von Alternativen in der Energiewirtschaft dürften zu kurz greifen, um die 1992 auf dem UN-Gipfel für Umwelt und Entwicklung in Rio angemahnte globale Umsteuerung umzusetzen. „Die Agenda 21 hat 30 Kapitel“, bemängelte Robert Große vom Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag, der Dachorganisation der entwicklungspolitischen Gruppen der Stadt, „aber alle reden bloß von Kapitel 28, den lokalen Agenden“.

Die Probe aufs Exempel, darüber waren sich die NGOler einig, kommt 1998. Gelangt die SPD dann an die Regierung, könne sie zeigen, ob der Lafontaine-Katalog nur auf das Fachpublikum der Berliner Konferenz zugeschnitten war oder ob sie ihn dann auch „in IWF und Weltbank durchsetzen“ wird.

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