: Kronzeuge entlaufen
Prozesse gegen Mitglieder der türkischen Dev Sol drohen zu platzen. Abgetauchter Belastungszeuge plaudert BKA-Interna aus ■ Von Elke Spanner
Der Schuß ging nach hinten los: Mit Hilfe eines Kronzeugen wollte die Hamburger Staatsanwaltschaft acht türkische Männer überführen, im August 1995 einen Kulturverein in St. Pauli überfallen zu haben. Nun klagt der Kronzeuge Hasan Tahsin A. die polizeilichen Ermittler an.
Erst lief Hasan A. dem Bundeskriminalamt (BKA) davon. Und anstatt vor Gericht auszusagen, veröffentlichte er dann Interna über das Anwerben von Kronzeugen durch das BKA in einem Interview mit der kurdischen Zeitung Özgur Politika. Zurück ließ er eine ratlose Hamburger Staatsanwaltschaft, deren Anklage nun wie ein Kartenhaus zusammenzubrechen droht.
Gestern mußte der Prozeß gegen die drei Angeklagten Ali A., Deniz E. und Michael E., die sich wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung verantworten müssen, unterbrochen werden. Vor Gericht wird der wichtige Zeuge auch am 20. März gebraucht. Dann nämlich wird das Verfahren gegen fünf weitere türkische Männer eröffnet. Sie sollen dabei gewesen sein, als am Morgen des 28. August 1995 rund zehn Männer den „Kulturverein Pamukkale“am Hein- Köllisch-Platz überfielen. Mit Pistolen bewaffnet hätten sie zwei Männer beraubt und mit Holzknüppeln krankenhausreif geschlagen. So lautet die Anklage. So schilderte es der Zeuge Hasan Tahsin A. vor etwa einem Jahr dem BKA.
Der Überfall habe einen politischen Hintergrund gehabt: Die nun Angeklagten sollen dem sogenannten Jagan-Flügel der verbotenen türkischen Organisation Devrimci Sol angehören. Zur Spaltung von Devrimci Sol war es vor gut drei Jahren im Streit um den Chef Karatas gekommen. Dessen Anhänger werden seither dem „Karatas-Flügel“, die Abgespaltenen dem Jagan-Flügel von Dev Sol zugerechnet. Der Überfall auf das „Pamukkale“soll ein Racheakt des Jagan-Flügels gewesen sein, weil zuvor Karatas-Anhänger zwei von ihnen erschossen hätten.
In diesen Kontext wollte die Staatsanwaltschaft den Überfall einordnen. Hasan Tahsin A. sollte das, was er dem BKA erzählt hatte, vor dem Amtsgericht wiederholen. Er entschied sich jedoch anders und legte ein „Geständnis der Geständnisse“in Özgur Politika ab. Im Interview erklärte er, wie das BKA die Aussagen aus ihm herauslockte: „Sie würden mir sofort die deutsche Staatsbürgerschaft verschaffen, mich verstecken, an einem Ort meines Wunsches unterbringen und mir die Chance bieten, in ein Land meiner Wahl zu gehen.“Das BKA sei für seinen und den Lebensunterhalt seiner Familie aufgekommen. Das mußte er teuer bezahlen: „Vier bis sechs Wochen ging ich jeden Tag zur Vernehmung. Die dauerte von morgens bis abends“, sagt Hasan A., der angibt,, seinerzeit vom BKA in Bonn untergebracht worden zu sein.
Er glaubt, daß aufgrund seiner Aussagen Wohnungen in Hamburg, Berlin, Salzgitter, Köln, Münster, Frankfurt, Bergheim, Aachen, Düren und Umgebung durchsucht wurden. Dabei wurden auch die zur Zeit in Hamburg angeklagten acht türkischen Männer festgenommen. Ob ihnen aber der Prozeß gemacht werden kann, hängt allein von Hasan A. ab und davon, ob er am 20. März wieder auftaucht.
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