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Bahn verliert Lust auf Provinz

Innerhalb von zehn Jahren soll ein Drittel des Schienennetzes abgestoßen oder stillgelegt werden. Neue Länder sind besonders betroffen  ■ Aus Bonn Markus Franz

Über ein Viertel des bundesdeutschen Schienennetzes, genau 11.646 Kilometer, steht zur Disposition. Darüber informierte jetzt der verkehrspolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Albert Schmidt. Aus einem internen Strategiepapier des Geschäftsbereichs Netz (GBN) der Deutschen Bahn geht hervor, daß innerhalb von zehn Jahren die Aufwendungen für den Unterhalt des Schienennetzes von bisher jährlich drei Milliarden Mark halbiert werden sollen. In Thüringen sind 66,4 Prozent des Streckennetzes gefährdet, in Mecklenburg-Vorpommern 62,9.

In einem Sitzungsprotokoll des GBN vom Januar dieses Jahres heißt es, daß „Investitionen ausschließlich nach unternehmerischen Kriterien gesteuert“ werden sollen und „nicht mehr nach politischen Forderungen“. Vom Abbau sind zwei Kategorien betroffen: Zur ersten gehören besonders schwach ausgelastete Strecken (in der Regel weniger als zehn Züge täglich). Diese Trassen sollen an Dritte, etwa Kommunen oder private Eisenbahngesellschaften, abgestoßen werden. Dort, wo sich keine Übernahmewilligen finden, wird stillgelegt. In diese Kategorie fallen 12,3 Prozent des insgesamt 39.790 Kilometer langen Schienennetzes. Zur Kategorie B wiederum gehören Strecken, die aus Sicht des GBN auf Dauer nicht rentabel betrieben werden können (17 Prozent des Gesamtnetzes). Falls sie keine Möglichkeiten finden, die Erlössituation auf diesen Strecken zu verbessern, sollen sie ebenfalls privatisiert bzw. stillgelegt werden.

Der scheidende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Heinz Dürr, hatte kürzlich eingeräumt, daß 5.000 Kilometer „Schwachlaststrecken“ demnächst zur Disposition stehen könnten. Für weitere 7.000 Kilometer solle über Verbesserungen nachgedacht werden (taz vom 27. 2.). Zum Strategiepapier des Geschäftsbereichs Netz will sich die Deutsche Bahn aber nicht konkret äußern. „Wir diskutieren nicht öffentlich über betriebsinterne Daten“, sagte der Sprecher des Bereichs Fahrweg, Reiner Latsch. Oberstes Ziel der Bahn sei es, Strecken zu optimieren und nicht, sie stillzulegen.

Nach Albert Schmidts Einschätzung lassen sich die Strecken jedoch nicht von heute auf morgen erfolgversprechend privatisieren. Den Kommunen fehlten dafür die Mittel. Und immerhin kostet die Instandhaltung pro Schienenkilometer im Durchschnitt 75.000 Mark jährlich. Folglich würde ein großer Teil der zur Zeit nicht lukrativen Strecke stillgelegt. Auch das thüringische Wirtschaftsministerium, Abteilung Verkehr, hält den Verkauf von Schienenstrecken für „wenig realistisch“. Dafür habe niemand Geld.

Besonders für Flächenländer, so Albert Schmidt, wären die Pläne der Deutschen Bahn eine „verkehrspolitische und ökologische Katastrophe“. Pendler und Urlauber würden aus den Nahverkehrszügen „ins Auto gejagt, der Schienengüterverkehr in der Fläche vollends zerschlagen“. Vor dem Hintergrund der Schrumpfungspläne der Bahn machten Forderungen aus CDU und CSU nach Mautgebühren bzw. Autobahnvignetten „einen perversen Sinn“. „Wer Schienen schlachtet, muß um so mehr teure Straßen bauen“.

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