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Begann das tödliche Feuer doch im Erdgeschoß?

■ Auftakt der Gutachtervorträge im Lübecker Brandprozeß: Frankfurter Experte Ernst Achilles unterstützt die Annahme der Verteidigung vom Anschlag von außen

Lübeck/Berlin (AFP/taz) – Im Prozeß um den Brand in einem Lübecker Asylbewerberheim hat der Brandexperte Ernst Achilles die Ansicht der Verteidigung gestützt, wonach das Feuer von außen gelegt worden sei. Vor allem verwies Achilles gestern auf drei große Durchbrennungen im Vorbau des Hauses. Dagegen sei im ersten Stockwerk des Gebäudes sogar eine Toilettenpapierrolle unversehrt aufgefunden worden.

Der Frankfurter Brandsachverständige kritisierte die seiner Ansicht nach unzureichenden Untersuchungen von Polizei und Staatsanwaltschaft im Erdgeschoß und beklagte gleichzeitig mangelnde Kooperationsbereitschaft der Polizei. Beim Brand am 18.1. 1996 wurden zehn Menschen getötet.

Die beiden Verteidigerinnen des wegen schwerer Brandstiftung angeklagten ehemaligen Hausbewohners Safwan Eid gehen davon aus, daß vier junge Männer aus Mecklenburg-Vorpommern einen Brandsatz in das Haus warfen. In der Tatnacht waren drei der vier Männer in der Umgebung des Hauses gesehen worden, konnten jedoch für die angenommene Brandausbruchzeit um 3.42 Uhr ein Alibi vorweisen. Ihre Haare und Augenbrauen wiesen Versengungen auf, für die sie nach Ansicht der Verteidigung lediglich „haarsträubende“ Erklärungen parat hatten. Die Staatsanwaltschaft geht dagegen vom ersten Stock als Brandherd aus und stützt sich dabei auf – später zum Vortrag kommende – Gutachten des Landes- und Bundeskriminalamts.

Achilles verwies in seinem Gutachten auf die „sehr großen“ Brandschäden im hölzernen Vorbau sowie im unteren Bereich des Treppenhauses. An Decken und Dielen habe er tiefe Einbrennungen festgestellt – die „leider nicht vermessen“ wurden. Das Feuer sei durch einen Luftstrom begünstigt worden, der durch Öffnungen zwischen „Kriechkeller“ und Vorbau sowie durch ein offenen Fenster bei einer Bewohnerin im ersten Stockwerk verstärkt worden sei.

Der Brandexperte betonte, er habe zwei Fenster im Vorbau bei den Begehungen spielend leicht aufdrücken können. Durch sie hätten von außen brennbare Flüssigkeiten in das Innere des Hauses gegossen werden können. Achilles äußerte Zweifel an der – von Zeugen – gestützten Theorie von einem Brandausbruch in der ersten Etage: Bei der Begehung habe er dort noch Tapeten ohne Brandspuren bemerkt. JaF

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