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Das Ende des HipHop

Sechs Monate nach der Ermordung von Tupac Shakur ist Star-Rapper Notorious B.I.G. am Sonntag in Los Angeles erschossen worden  ■ Von Jörg Heiser

Auf New Yorks HipHop-Radiostation Hot 97 vergeht seit vier Tagen keine Stunde, in der nicht der Trauer über den Tod von Notorious B.I.G. alias Biggie Smalls alias Chris Wallace Ausdruck verliehen wird. Am Sonntag früh schon – wenige Stunden nach dem Attentat auf den 24jährigen Rapper aus Brooklyn – fanden sich alle Moderatoren des beliebten Senders im Studio ein, um Anrufe von seinen Fans und Kollegen entgegenzunehmen und gemeinsam an den HipHop-Künstler und Menschen zu erinnern. Zu den ersten Anrufern zählte Ice-T, für den die Konsequenz aus dem erneuten Mord an einem Rap-Superstar hieß: „Wenn wir jetzt keine Einigkeit herstellen, dann ist es engültig vorbei“ – vorbei mit der Idee von HipHop als kommunikativer Kraft gegen die Agonie der amerikanischen Innenstädte und ihrer schwarzen Ghettos. „Ich bin Rapper geworden, um aus dem Gang- Ding rauszukommen, und nun habe ich wieder Gangs? Das darf doch nicht wahr sein!“

Tatsächlich wurde Chris Wallace, wie schon Tupac Shakur in Las Vegas, nach dem Muster der meisten Gang-Morde Opfer eines Drive-by-Shooting: Er saß nach dem Ende einer Party des Musikmagazins Vibe, die anläßlich der alljährlichen Verleihung des „Soul Train Music Awards“ in Los Angeles stattfand, auf dem Beifahrersitz seines geparkten Geländewagens, als nach Augenzeugenberichten aus einem dicht vorbeifahrenden Auto Schüsse abgegeben wurden. Wallace wurde in seinem Wagen in ein nahe gelegenes Hospital gefahren, wo Sonntag, 1.30 Uhr Ortszeit, nur noch sein Tod in Folge von mindestens fünf Schußwunden festgestellt werden konnte.

Nach dem Attentat auf Tupac Shakur gingen die Ermittlungen der örtlichen Polizei in Las Vegas dahingehend, daß Shakur Opfer einer Auseinandersetzung zwischen den beiden wichtigsten Gangs Kaliforniens, den Crips und den Bloods – denen Shakurs Manager Suge Knight nahestehen soll – geworden sei. Ein Zusammenhang zu der seit 1994 schwelenden Feindschaft zwischen Tupac Shakur und Chris Wallace war damit aber weder für die US-Medien noch für viele HipHop-Fans aus der Welt: zu massiv und nachdrücklich hatte Shakur Wallace immer wieder beschuldigt, hinter einem Anschlag von 1994 zu stecken, bei dem er in der Lobby eines New Yorker Tonstudios angeschossen und beinahe ums Leben gekommen war.

Wallace selbst hat zuletzt in einem Interview mit dem Musikmagazin The Source den Medien eine Hauptschuld daran gegeben, daß der persönliche Konflikt zwischen ihm und Shakur zu einem Streit zwischen Ostküste und Westküste ausgeweitet worden sei: Erst diese Eskalation habe dazu geführt, daß er und seine Freunde sich in Kalifornien nicht mehr frei bewegen konnten. Im gleichen Interview beteuert er auch, nie etwas gegen Tupac unternommen und bewußt darauf verzichtet zu haben, dessen Anfeindungen zu erwidern.

Viele der Statements, die HipHop-Künstler wie Rapperin Roxanne Shante oder Wyclef von den Fugees bei Hot 97 in den letzten Tagen abgaben, bestätigen, daß Notorious B.I.G. keineswegs dem Bild des bösen Gangsta-Rappers entsprach, daß mit der Berichterstattung über den Eastcoast-Westcoast-Streit entstanden war: Sie charakterisierten ihn als offenen, zugänglichen Menschen und inspirierenden Rapper. Gleichwohl waren Biggie Smalls' Texte auch Ausdruck seiner Vergangenheit als kleiner Dealer, der bis zu seinem 20. Lebensjahr im armen Brooklyner Stadtteil Bedford-Stuyvesant aus der Mülltonne heraus Crack verkauft hatte und deswegen auch wie jeder fünfte schwarze junge US-amerikanische Bürger in seinem Alter im Gefängnis gesessen hatte. Sein 94er Debüt „Ready to Die“ war geprägt von der Paranoia und der Angst vor dem Tod, den das Dealer-Leben bei dem über 300 Pfund schweren Rapper hinterlassen hatte, aber auch von dem Triumph desjenigen, der sich mit seinen Rap-Fertigkeiten Reichtum verschafft hat. Die Platte endet jedoch mit dem Stück „Selbstmordgedanken“.

Mit dem Titel seines neuen Doppelalbums wollte Notorious B.I.G. ausdrücken, daß er die Selbstmordgedanken und die Gespenster der Vergangenheit hinter sich gelassen hat: „Life after Death... Till Death Do Us Apart“. Um so tragischer ist sein gewaltsamer Tod.

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