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Noch immer CNN

■ Pop aus vollster Überzeugung, aber nicht ohne Hintergedanken: Spearhead auf Deutschlandtournee

Michael Franti war nie zu fassen mit den Kategorien, die die HipHop- Rezeption so im Angebot hat. Der Kopf von Spearhead war immer einer der wenigen, der sich abseits halten konnte im ständig tobenden Kleinkrieg zwischen Ost- und Westküste. Frantis Bezugspunkt war niemals NWA, sondern eher ein Gil Scott-Heron, auch wenn er dessen Musik erst kennenlernte, als er selbst ständig mit dem „Minister of Information“ verglichen wurde. Aber Franti hat ein großes Herz, und in sein panafrikanisches Weltbild fügen sich denn auch goldbehängte Gangsta- Rapper als weiteres soziales Indiz: „Das mag so aussehen, als ginge es nur um schicke Klamotten, dicke Autos und darum, jede Menge Frauen rumzukriegen. Das ist vielleicht nicht Teil eines politischen Kampfes, aber es erzählt von den ökonomischen Bedingungen, unter denen die Menschen leben.“

Kurz gesagt: Schlußendlich sind sie alle Brothers, ob nun der in Ghettomanier zu Tode gekommene Tupac Shakur oder ein Michael Franti, der aus einem eher gut bürgerlichen Umfeld stammt. Franti, Sohn einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters, ist aufgewachsen bei weißen Pflegeeltern im eher liberalen und multikulturellen Klima der Bay Area. Trotzdem oder gerade deshalb ist es wichtig für Franti, zu wissen, wo seine Wurzeln sind. „Ich kann nur in der Haut leben, die ich habe.“ Und die ist schwarz. „Wenn ich durch den Zoll gehe“, erzählt der überzeugte Kiffer, „habe ich immer eine Mütze auf. Mit Dreads wirst du immer kontrolliert. Herb sollte aus vielen Gründen legalisiert werden, aber es zu schmuggeln, ist kein politisches Statement, sondern einfach dämlich.“

Zehn Jahre lang macht Franti nun Musik und stand in dieser Zeit zwei der außergewöhnlichsten Versuche vor, schwarzer Musik neue politische und musikalische Ebenen zu eröffnen. Auf seinem Weg von den multiethnischen Beatnigs über die Disposable Heroes of Hiphoprisy zu „Chocolate Supa Highway“, der neuen Platte von Spearhead, vollführte er zudem einen zwar schleichenden, nichtsdestotrotz aber dramatischen Paradigmenwechsel. „Damals konnte ich zwei Noten auf meinem Bass spielen. So hat sich die Musik dann auch angehört.“

Die Beatnigs waren laut und krachend und Müll war ihr liebstes Spielzeug. Ihre Songs hießen „CIA“ oder „Malcolm X“, das Fernsehen war „die Droge der Nation“ und ihrer Platte lag ein „Aural Instruction Manual“ bei, in dem der „nig“, entstanden aus der Verkürzung von „nigger“, zum Sammelbegriff aller Unterdrückten dieser Welt erklärt wurde, eingeschlossen sämtliche „chinks, kykes, dykes, queers, sandbugs, punks, hippies, white trash, cripples, bitches, old people, wops and niggers“. Die Verbindung zwischen den Einstürzenden Neubauten, Agitprop und einem schwarzen Willen zum Groove machte sie zum Liebling weißer Kritiker. Nur Franti mußte irgendwann erkennen, daß, hätte man so weitergemacht, er „inzwischen taub wäre“. Irgendwann entdeckte er logischerweise den Rap, der mit seiner Textlastigkeit wie geschaffen war für Frantis Drang, den Unwissenden die Wahrheit zu bringen. Für die Disposable Heroes mischte ihm der Beatnig-Mitstreiter Rono Tse aber weiterhin einen Sound, der mehr vom Stahlwerk wußte als von Marvin Gaye, und auf der Bühne wurden weiter fröhlich TV- Geräte mit der Flex auseinandergenommen. Hier aber konnte Franti seine Lehrstücke in Talking- Blues-Schemata verfeinern.

„Home“, das 94er Debut vom Spearhead mit einem erstmals massenkompatiblen Sound, gespickt mit Anspielungen zu Tagespolitik, schwarzer Geschichte, Macht- und Medienzusammenhängen, war dann für einen Kritiker die 90er-Ausgabe von Marvin Gayes „What's Going On“. „Als ich angefangen habe, Musik zu machen“, beschreibt Franti seine Entwicklung, „hatten wir gerade fünf Jahre Reagan hinter uns. Das, was gerade hier bei euch passiert, passierte damals bei uns: Einsparungen im Erziehungs- und im sozialen Bereich. Ich war wütend und ich wollte den Verantwortlichen mitteilen, was ich von ihnen hielt. Aber mit der Zeit, auch dadurch, einen Sohn zu haben, habe ich mitbekommen, wie das Leben wirklich funktioniert. Wirklich wichtig ist nicht, was da draußen stattfindet, wirklich wichtig sind die Menschen um dich herum. Ich versuche, die Welt durch die Augen meines Sohnes zu sehen. Ich erzähle weiterhin dieselben Geschichten, aber ich benutze dazu Beispiele aus dem täglichen Leben.“ In „Keep Me Lifted“ vernetzt Franti sich selbst mit den divergierenden Eckpunkten schwarzer Kultur: Und das geht von Frantz Fanon und Malcolm X über Arsenio Hall bis zu den Seattle SuperSonics.

„Awareness“, Bewußtsein ist das Prinzip für die Auseinandersetzung mit sich selbst und der Außenwelt. Für die Musik gilt seit Spearhead das Prinzip „Seduction“. Für die Verführung mußte sich Franti nur an seine eigene Jugend, die eigenen Helden wie Stevie Wonder, Sly Stone, Bob Marley, Curtis Mayfield oder eben Gaye erinnern. Spearhead sind weiche Beats und wunderschöne Melodien, knarztrockene Raps und liebliche Frauenstimmen, sind HipHop, Jazz, Soul, Gospel, Reggae, sind Pop aus vollster Überzeugung, aber nicht ohne Hintergedanken. „Inzwischen will ich Platten machen, die sich die Leute von Anfang bis Ende anhören, und sich immer und immer wieder anhören.“ Dann, so die Überlegung, sacken auch die Texte durch, bleibt hängen, was Franti über „den Kampf um Befreiung, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit“ zu erzählen weiß. Die Musik ist in diesem Kampf nur eine von vielen „Werkzeugen und Strategien“. Neben „Platten, der Stimme, sozialen Aktivitäten, Demonstrationen“ propagiert Franti inzwischen auch moderne Formen des Informationsaustauschs. Im Black Militia, seinem Studio in San Francisco, das als täglicher Treffpunkt von Band und Freunden dient, finden sich neben Instrumenten und Studio-Equipment auch PCs, an denen die Homies die bunte Welt des Internets erforschen. „Es ist sehr wichtig“, sagt Franti, „daß sich Schwarze bei jeder neuen Technologie oder Bewegung beteiligen. Es ist wichtig, die eigene Macht und Stärke zu vergrößern.“

Noch aber „besitzt nur ein Prozent der Weltbevölkerung überhaupt Computer, und in ganz Afrika gibt es nur in Südafrika überhaupt die Möglichkeit, online zu kommen“, weiß auch Franti, und solange ist der „Chocolate Supa Highway“ nur ein frommer Wunsch, vielleicht eine Vision. Und solange bleibt HipHop weiter der schwarze CNN. Und so lange ist Frantis Stimme vielleicht nicht die wirkungsvollste im alternativen Nachrichtenkanal, aber eine der reflektiertesten. Thomas Winkler

Spearhead: „Chocolate Supa Highway“ (Spin/EMI)

Konzerte: 10. 3. Hamburg, Große Freiheit; 12. 3. Berlin, Loft; 14. 3. Köln, E-Werk; 15. 3. Stuttgart, Röhre; 16. 3. München, Nachtwerk

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