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Back to Buxtehude

MTV will mit deutschen Fenstern neue Zielgruppen für sich gewinnen und verliert dabei den alten Charme des vermeintlich Polyglotten  ■ Von Christoph Schultheis

Mo–Fr von 14–15 Uhr, 16–17 Uhr und 18.30–19.30 Uhr, Sa von 17–18 Uhr bzw. Mo von 20–21 Uhr und Do und So von 13–14 Uhr. Was aussieht wie die Termine fürs Seniorenschwimmen der städtischen Badeanstalt, sind die neuen „think global act local“-Zeiten auf MTV. Die Zeiten also, in denen MTVs paneuropäischer Zweig neuerdings im deutschen Sprachraum deutschsprachigen Produktionen Platz einräumt. Und das geht so: „Hey!! Hallo!!! Herzlich willkommen hier zu Select MTV!“ Als VJ Kimsy am vergangenen Freitag diese Ansage gegen die Mattscheibe posaunte, war für MTV Europe das gesteckte Etappenziel erreicht: „...habt ihr was gemerkt? – Das Ganze ist jetzt AUF DEUTSCH! Und das liegt daran, daß alle die, die nicht so gut Englisch sprechen können, die haben's jetzt VIEL VIEL LEICHTER!“ Zum Beispiel Nina aus München auf Leitung 1: „Hallo, ich bin total irritiert; ich muß jetzt überhaupt kein Englisch mehr sprechen, oder?“ – „Is' SUPER EINFACH, is' VIEL BESSER, oder nicht?“ – „Ja, viel. Da kann ich gleich meine bescheuerten Stichworte, auf englisch, die ich mir gemacht hab', wegschmeißen ...“

Der Auftakt zu MTVs nunmehr deutschsprachiger Antwort auf Vivas „Interaktiv“-Videowünscherei klang so, als solle einem eine Apfelschälmaschine oder NoWet- Wonderfoam verkauft werden: Statt „amazing“ und „great“ ist jetzt alles „suuupergeil“, und statt „I'm fine', „I'm fourteen“ und „I want to dedicate the video to my boyfriend“, heißt es von nun an: „Gut“, „vierzehn“, und „alle, die mich kennen“.

Daß Kimsy in Zukunft für „fax- request“ „Fax-Wunsch“ sagen muß, ist vorläufiger Endpunkt einer steten Entwicklung: Bereits mit der Umstellung vom analogen aufs digitale Signal im Sommer 95 hatte sich MTV Europe die technischen Möglichkeiten geschaffen, um zeitgleich mehrere Programmvarianten auszustrahlen. Augenfällig wurde diese Umstellung zuerst nur in den Commercial Breaks mit ihren urplötzlich einheimischen Schokoriegel-Clips, die fortan den Einblick in internationale Werbelandschaften versperren und das gute alte MTV-Gefühl, einfach teilzuhaben, trüben sollten. Ein Jahr später dann startete das Pilotprojekt MTV-HOT alternativ als HOT Süd, HOT Nord und HOT Zentral, und der deutsche Sprachraum durfte alsdann einem ziegenbärtigen jungen Mann namens Christian Ulmen dabei zusehen durfte, wie er beim Branchen- Gossiping vor einer Fischaugenkamera sämtliche Tiäitsch-Laute charmant ignorierte.

Seit dem 7. März nun hat manch alarmierter Englischlehrer Ruh – und Ulmen Verstärkung bekommen: einerseits in seiner Show durch das Pamela-Anderson- Double-Double Julia Valet und andererseits im Programmumfeld um Ulmen herum durch 1. Kimsys Interaktivideotät, 2. WOMs „MTV Hitlist Germany“ und 3. das neue Anfaßformat „MTV in touch“, bei dem Sportstudent Holger mit einer Art Logomobil umhergurkt, um hierzulande Pubertierenden Rede- und Sendezeit zu überlassen.

Ganze 19 Bruttowochenstunden sind das, die nunmehr für Deutschland im Schedule stehen. Netto allerdings bleiben – von der selbstauferlegten Kunze-Quote einmal abgesehen – gerade mal 3 x 20 deutschsprachige Tagesminuten übrig. Mehr konnte das 120köpfige Team von MTV- Deutschland-Chef Michael Oplesch bei der Londoner Übermutterzentrale bislang nicht herausschlagen, um zu wagen, was die Zeitschrift W&V jüngst den „Spagat zwischen dem Glamour der Welt und den Sorgen der Jugendlichen in Buxtehude“ nannte. Dabei würde der in Hamburg ansässige „MTV Networks Central Europe“-Stützpunkt gern noch mehr für die Buxtehuder Jugend tun. Nicht zuletzt wegen der mächtigen Konkurrenz vom Rhein, denn vernachlässigen lassen sich die vom Nebenbuhler Viva seit 1993 handzahm gemachten, neuen Zielgruppen nicht, die zwar (noch) kein Englisch, aber immerhin (schon) während der Schulaufgaben Musikvideos anschauen können.

So gerät im Streben nach Gewinnmaximierung und Bedarfsbefriedigung die Welt jenseits vom Tellerrand immer weiter aus dem Blick. Das ehedem notgedrungen kosmopolitische Fenster zur (Pop-)Welt wird für den Zuschauer nun ein Fenster zum Hof – und der Bildschirm zum Spiegelbildschirm. Und man selbst wird wohl erst, wenn der insgeheime Wunsch der Hamburger MTVisten nach einem Rund-um-die- Uhr-Programmplatz in deutscher Sprache Wirklichkeit wird, auch wieder zu MTV umschalten können, statt bei MTViva abzuschalten. Doch solange MTV 97 noch die Chuzpe hat, die neue deutsche Identität ausgerechnet mit Bildern vom Döner-Imbiß an der Ecke zu betrailern, und solange noch weltbürgerliche Zeitgeistveteranen, wie unlängst Jungautor Christian Kracht im Spiegel (11/97), auf Ulmens selbstinszenierte Bedeutungslosigkeit hereinfallen, so lange ist das gewonnene Neuland auch urbar. Überhaupt ist es, wie so oft, unprätentiöse Selbstironie, die Anlaß gibt zur Hoffnung. Hoffnung darauf, daß der entstandene cultural gap überwunden, daß die MTV-Idee letztlich sogar mit der deutschen Sprache zusammengebracht werden kann: Während MTV Select beispielsweise den Hinweis „Ask bill payer's permission before calling“ noch mit „Anrufe nur mit Zustimmung des Telefoninhabers“ ins Amtsstubendeutsch transkribiert, übersetzte Ulmen Enigmas „TNT – for the brain“ immerhin bereits zwanglos ins Bajuwarische: „Des wos explodiert – fürs Hirn“.

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