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Globalisierung live

■ Bauarbeiterprotest gegen Dumpinglöhne

So schnell kippt das Bild um: Bis vor ein paar Tagen noch Symbol für den Aufbruch in eine neue Republik – heute Anschauungsunterricht für ein soziales Dilemma, aus dem niemand einen konfliktfreien Ausweg weiß. In Berlins Mitte demonstrieren seit Tagen wütende Bauarbeiter, zielgenau auf dem Terrain, das bisher als die touristische Attraktion der Hauptstadt galt. Kein schöner Land als die tiefen Baugruben am Potsdamer Platz, kein stolzeres Demonstrationsobjekt als die Betonspargel, die hier schneller aus dem Boden schießen, als der Markt erlaubt: Berlin – größte Baustelle Europas, welch schöner Superlativ –, nur hat Europa „seine“ größte Baustelle längst in Besitz genommen.

40.000 einheimischen Bauarbeitern stehen hier 30.000 Kollegen aus der EU, 8.000 Kontraktarbeiter aus Osteuropa und zigtausend illegal Beschäftigte gegenüber. Trotz Baubooms ist jeder dritte Berliner Bauarbeiter arbeitslos. Wie keine andere erlebt die Baubranche derzeit Globalisierung live.

Bisher, das muß man den Bauarbeitern und ihren Gewerkschaften zugute halten, haben sie sich nicht von dumpfer Ausländerfeindlichkeit anstecken lassen. Dabei hätte das Stammtischargument: „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg“, hier einen realen Hintergrund. Gewiß, die Billigarbeiter sind bei ihren deutschen Kollegen wahrlich nicht beliebt. Man will nichts mit ihnen zu schaffen haben und macht böse Witze über sie. Aber bisher dämmert unter den Bauhelmen immerhin noch die Erkenntnis, „daß die doch selbst arme Schweine sind“.

Der Protest richtet sich vor allem gegen die Bundesregierung und gegen die Firmen mit den Dumpinglöhnen. Die Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes und die Festsetzung von (kaum kontrollierbaren) Mindestlöhnen auf dem Bau sind dabei wichtige Sicherheitsleinen. Aber sie allein werden die strukturelle Krise nicht lösen können, die durch die weltweite Öffnung der Arbeitsmärkte entstanden ist. Ähnlich wie die Bergleute werden auch die Bauarbeiter Abschied nehmen müssen von Besitzständen und einmal erlernten Berufen, von einträglichen Überstunden und lebenslänglichen (Voll-)Arbeitszeitmodellen. Das tut weh. Aber davor die Augen zu verschließen macht die Sache noch schlimmer. Vera Gaserow

Bericht Seite 4

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