: Und irgendwo spendiert ein Softwarefritze
■ Bekloppt: zur Cebit gehen / Irre: 50 Mark Eintritt zahlen / Gigageil: der norddeutsche Gemeinschaftsstand / Ein Rätsel: die Medienfuzzies
in Witz: „Hammse schon die dollste Messeneuheit aufer Cebit gesehen?“– „???“– „In Halle 28 Kaffee für unter sieben Mark!“Die Cebit ist DAS LICHT, wir sind die Motten. 50 Mark Eintritt.
Der muß irre sein, jeisteskrank, verstört, bekloppt und ein armes Würstchen, der 50 Mark bezahlt, um einen Haufen Computer ankucken zu dürfen. Nichts anderes ist die Cebit: ein Haufen Computer und noch mehr Männer. Diese kucken in jene, und jene kucken dumm zurück. Meist kucken aus jenen diese zurück, weil der Renner heute eine Kamera auf dem Computer ist, damit man sich im Computer sieht. Das größte Cebit-Rätsel sind übrigens die Medienfuzzies: Die Medienfuzzies stehen eine Stunde an wegen Akkreditierung. Werden pingeligst überprüft. Zahlreiche werden abgewiesen, weil die Unterschrift vom Chefredakteur fehlt. Nervenzusammenbrüche sind nicht selten. Aber wennse dann doch drin sind, erzählen sie der Welt: „Wahnsinn! Irre Entwicklungen! Gigageil!“Wenn die Redaktion die Medienfuzzies schon für einen Tag Cebit bezahlt, will sie was sehen. Jedenfalls mehr als „ein Haufen Computer“.
Oder gibt's was geschenkt? Aus Halle 6 kommt ein Pulk Leute, die haben alle eine orange Regenjacke an. Da hat ein Computerhersteller mal den ganz großen Karton aufgemacht. Riesig! Gigageil! Irgendwo spendiert ein Softwarefritze Mini- Segelflugzeugchen für Zweifuffzich bei Karstadt. Natürlich kann man Software abzocken wie nix Gutes – doch im PR-Material steht auch die Homepage, wo man die Demoversion für lau runterladen kann. Noch nie wurde mir auf einer Messe so klar gemacht, daß meine physische Anwesenheit total überflüssig ist. Cebit nur im Internet: Das wäre logisch. Aber so: Stau, Stress, Schlangestehen, mit dem Bruttoenergieaufwand der Cebit könnte man ganz Grönland einen Monat lang eisfrei halten. Ein anachronistisches Unterfangen.
etzt aber mal zur Sache! (Übrigens wo knubbeln sich die Männer? Beim asbach-uralten Flugsimulator-Programm. Beim Schumi-Simulator. WoW! Hey!) Also die Sache: BREMEN AUF DER CEBIT. Siehe zum Beispiel nebenstehend „OHB“. Oder „Spock“. Dahinter steckt die Hochschule Bremen, und weil eine Hochschule Bremen nie und nimmer einen sau- und ekelteuren Stand auf der Cebit bezahlen könnte, teilen sich die ärmsten Bremer Schlucker mit ähnlich Ausgestatteten aus Norddeutschland einen Gemeinschaftsstand. Die „Spock“-Leute also haben einen miesen kleinen Computer, aber schwere Rechenaufgaben.
Statt nach Canada zu reisen, leihen sie sich von der Telekom eine sagen wir hundertspurige Datenautobahn, und darüber wälzen und schwappen ungeheuerliche Datenmassen, und ein Hyperrechner in Canada spuckt in ein paar Sekunden aus, wozu die Bremer Tage gebraucht hätten. Meist aber benutzen die Spockleute die hundertspurige Datenautobahn, um mit Daniela an der Uni Stuttgart zu quatschen, die man auch life auf dem Bildschirm hat. Man kann das „Videokonferenz“nennen. Weil es um Wissenschaft geht, sponsert die Telekom die 1.000 Mark pro Stunde Leitungsmiete.
Oder „Oncohelp“. Gern erinnern wir uns der Aufregung, als neulich herauskam, daß es Computer gibt, die ausrechnen können, ob sich bei Todkranken eine Therapie lohnt. Alte Jacke! „Oncohelp“ist ein Programm des Bremer TZI (Technologie-Zentrum Informatik), welches Krebsärzten bei Diagnose und Therapie hilft. Man kann zum Beispiel eine Therapie nach Prof. XYZ an- klicken, dann erscheinen die bei dem Patienten ABC zu erwartenden Nebenwirkungen. Der Computer rechnet auch die Dauer des vermutlichen Restlebens aus und macht eigene Therapievorschläge. Immerhin stützt sich der Computer auf die Daten von vielleicht hundert Patienten und übersieht nichts. Andererseits kennt er keine Mispeltherapie u.ä. Methoden abseits der klassischen Medizin. Das ganze Ding ist ziemlich heiß: die Bremer Informatiker wollen am liebsten weltweit Daten sammeln, womöglich übers Internet. Krankenkassen würden natürlich gern mitmischen – wer würde bei einer Computerprognose von einem Jahr noch eine teure Therapie bezahlen?
er die Cebit verläßt und geistig und seelisch noch einigermaßen intakt ist, der beschließt umgehend, aufs Land zu gehen und Möhren zu ziehen. Oder irgendwas anderes Widerspenstiges . BuS
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