Gefallen am Stehen auf zwei Rädern

■ Auch nach dem Fall der Mauer ist Camping in Berlin nicht out. 1.200 Dauerstellplätzen stehen auch ausreichend Plätze für Touristen gegenüber. Auch Ostler sind nun mit dabei

Er ist ganz das Klischee: im besten Alter oder etwas darüber, selten trendy, dafür immer mit strapazierfähiger Trainingshose ausgestattet, kein Autist, sondern ein geselliges Wesen, dem der Grill samt Campingtisch und Plastikstühlen allemal näher steht als der Eßtisch in der heimischen Wohnung. Der Dauercamper, das unheimliche Wesen?

Großstadt und Campingplatz – in Berlin ist das kein Widerspruch. 1.200 seßhafte Berliner pilgern jedes Wochenende auf ihre Datsche auf zwei Rädern. Angebote dafür gibt es genügend. Vom Kleincampingplatz am Heiligensee für 39 Personen bis zu den beiden jeweils 80.000 bis 90.000 Quadratmeter großen Zeltplätzen am Krossinsee (ehemals Intercamp) und am Krampnitzer Weg in Kladow. Allein fünf Plätze betreibt der Berliner Landesverband des Deutschen Camping-Clubs – neben Kladow, dem Krossinsee und Heiligensee noch zwei weitere Plätze in Dreilinden und bei Albrechts Teerofen, jenem Platz, der für jeden sichtbar an der Autobahnstrecke hinter Drewitz liegt. Dazu kommen noch 50 private, meist für Dauercamper reservierte Plätze.

„Entgegen aller Vermutungen hat das Interesse an den Berliner Campingplätzen nach dem Fall der Mauer nicht abgenommen“, freut sich Peter Jürgen Schmidt, der Berliner Geschäftsführer des Camping-Clubs. Im Gegenteil: „Erst nach und nach konnte die Warteliste von Dauercamping-Interessenten abgearbeitet werden.“ Fünf bis sechs Jahre mußte zu Mauerzeiten warten, wer einen der begehrten Stellplätze in Kladow ergattern wollte. Insgesamt, sagt Schmidt, betrage der Anteil der Dauercamper auf den fünf Verbandsplätzen 65 bis 70 Prozent. Am größten ist der Anteil der Wochenendcamper dabei in Kladow. Am Köpenicker Krossinsee dagegen, in den der Camping-Club nach der Wende fünf Millionen Mark investierte, gibt es dagegen mehr Touristen als Dauercamper.

Daß es nach der Wende keine größeren Abwanderungen der Camper ins brandenburgische Umland gegeben habe, führt Schmidt dabei auf zwei Gründe zurück. Zum einen seien die Berliner Plätze mit 850 Mark pro Jahr zumeist günstiger als die Umlandstellplätze, die selten weniger als 1.200 Mark kosteten. Zum andern seien auch die Ausstattungen, unter anderem der Sanitäranlagen, meist besser. Einzige Ausnahme: der Platz in Dreilinden, wo das Sanitärgebäude noch zu Zeiten der Amerikaner aus dem Jahre 1949 stammt.

Dauercampen hatte in Westberlin schon immer Tradition. Wer zu Mauerzeiten in der eingemauerten Frontstadt am Wochenende in Berlin und gleichzeitig im Grünen sein wollte, der hatte eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Dauercamper zu werden oder Laubenpieper. Ganz anders sah das Freizeitverhalten in den östlichen Bezirken aus. „Dauercamping war in der DDR gar nicht erlaubt“, weiß Schmidt. „Außerdem waren die Zeltplätze total überfüllt, weil viele Betriebe ihre Kontingente auf den Plätzen gebucht hatten.“ Zog es die Ostberliner früher deshalb vornehmlich auf ihre Datschen, habe sich mittlerweile, meint Schmidt, das Freizeitverhalten in Ost und West angeglichen. „Viele Dauercamper kommen mittlerweile aus Ostberlin“, sagt Schmidt, sein eigener Wohnwagennnachbar in Kladow komme sogar aus Marzahn.

Mittlerweile baut der Camping- Club einen weiteren Platz in Kladow. Danach soll aber Schluß sein. Immerhin belaufen sich die Kosten pro Camping-Stellplatz auf 17.000 Mark. „Mit dem neuen Platz gegenüber dem Flughafeneingang in Gatow“, sagt Schmidt, „haben sich Angebot und Nachfrage eingependelt.“ Ein ausreichendes Angebot gibt es aber nicht nur für Dauercamper, sondern auch für Touristen. Anders als in Paris, wo sich die Schlangen vor dem Zeltplatz im Bois de Boulogne über hunderte Meter hinziehen, bekommt in Berlin auch im Sommer jeder einen Platz. 200.000 Touristen, darunter viele aus Spanien und Australien, haben nach Angaben des Verbandes im vergangenen Jahr auf den Verbandscampingplätzen übernachtet. Ein im Vergleich zum Hotel durchaus preiswertes Vergnügen. Für Wohnwagen, Auto und zwei Personen kostet die Übernachtung um die dreißig Mark. Uwe Rada