: „radikal“ entgeht Strafverfahren
■ Koblenzer Oberlandesgericht lehnt Eröffnung gegen vier mutmaßliche „radikal“-Mitarbeiter ab. Schlappe für Ankläger
Hamburg (taz) – Das Strafverfahren gegen vier mutmaßliche Redakteure der verbotenen linksautonomen Zeitschrift radikal steht vor einer radikalen Wende. In einem auf den 5. März datierten Beschluß, der den Beschuldigten am Mittwoch zugestellt wurde, lehnt der Staatsschutzsenat des Koblenzer Oberlandesgerichts die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die angeblichen Hersteller der verbotenen „Untergrunddruckschrift“ ab.
Dabei spielten nicht nur formale Gründe eine Rolle. Entgegen dem von der Karlsruher Bundesanwaltschaft und der Koblenzer Oberstaatsanwaltschaft erhobenen Vorwurf der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ nach Paragraph 129 StGB konnte die Staatsschutzkammer weder einen dringenden noch überhaupt einen „hinreichenden Tatverdacht“ erkennen. Der Hauptpfeiler der Anklage wäre nach dieser Rechtsauffassung zusammengebrochen.
In ihrer 13seitigen Begründung führte das Gericht aus, daß die von der Staatsanwaltschaft behauptete „Aufforderung anderer zu Straftaten“ und die „Billigung von anderen Straftaten“ nach vorherrschender Rechtsauffassung „nicht für die Strafbarkeit nach 129 StGB“ ausreiche. Von einer kriminellen Vereinigung könne nur gesprochen werden, wenn deren Mitglieder eine „auf Begehung eigener strafbarer Handlungen gerichtete Zielsetzung“ verfolgen würden. Auch den zweiten Hauptvorwurf der Ankläger, die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nach 129 a StGB, wischten die Richter – allerdings aus formalen Gründen – vom Tisch. Ein Großteil der radikal-Artikel, mit denen Anschläge gutgeheißen und für militante linksradikale Vereinigungen geworben worden sein soll, könnten nicht mehr juristisch sanktioniert werden, da inzwischen die „absolute Verjährungsfrist“ eingetreten sei. Daneben erklärte die Koblenzer Staatsschutzkammer ihre „örtliche Unzuständigkeit“, da es keine Hinweise darauf gäbe, daß die radikal im Zuständigkeitsbereich des rheinland-pfälzischen Gerichts verbreitet worden wäre. Während der Koblenzer Oberstaatsanwalt Karl-Rudolf Winkler gegenüber der taz erklärte, eine Beschwerde gegen den Gerichtsbeschluß sei „bereits auf dem Weg“, hat aus Sicht der Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, Verteidigerin eines Beschuldigten, das Koblenzer Gericht „sehr richtig die Schwachpunkte der Anklage“ herausgefiltert – vor allem jene, die sich mit der „gefestigten“ Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes „nicht vereinbaren“ ließen. Während die Kosten des gesamten Verfahrens nach dem Gerichtsbeschluß „der Staatskasse zur Last“ fallen, wurde über eine Haftentschädigung der vier Beschuldigten noch nicht entschieden. Die vier angeblichen radikal-Redakteure waren durch eine bundesweite Razzia der Ermittlungsbehörden am 13. Juni 1995 festgenommen worden. Anschließend wurden sie ein halbes Jahr unter erschwerten Bedingungen inhaftiert, weitgehend abgeschirmt von Mitgefangenen und Besuchern. Marco Carini
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